Bald sind acht Jahre vergangen, seit der chinesische Präsident Xi Jinping die Neue Seidenstraße und die Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts, auch Belt and Road Initiative genannt, ins Leben rief. Die Zahl der Länder, die bis dato eine Absichtserklärung mit China in Bezug auf die Belt and Road Initiative (BRI) unterzeichnet oder auf andere Weise ihre Unterstützung für die BRI erklärt haben, belief sich Ende Januar 2021 auf 140, darunter auch einige EU-Kernstaaten wie Italien.
Die Europäische Union blieb anfangs allerdings völlig ungerührt, versprach dann aber, ein Gegenstück zu entwerfen, mit denen europäische Staaten an die BRI andocken und so ihren Unternehmen Kooperationschancen eröffnen könnten. Die EU brauchte allerdings ganze drei Jahre, um eine „Konnektivitätsplattform“ anzukündigen, um dann erst weitere zwei Jahre später, 2018, einen „Aktionsplan“ mit äußerst bescheidenem Umfang zu veröffentlichen. Dieser Aktionsplan sieht erstaunlich wenige Aktionen vor und liest sich eher wie ein Dokument, das ein Praktikant lustlos in einer Stunde zusammengeschrieben hat[1]. Die EU-Generaldirektion für Mobilität und Verkehr kündigte Ende 2018 an, man werde bis zum Sommer 2019 eine Studie zu den EU-China-Bahnkorridoren erarbeiten, an die sich dann eine Bestandsaufnahme bis 2023 anschließen soll, um anschließend „Anpassungsmaßnahmen“ zu erarbeiten. Es wird also viel beschriebenes Papier entstehen, aber wo bleibt die europäische Seidenstraße?
EU ohne Ambitionen
Wie das Handelsblatt am 2. Mai unter Berufung auf ein vertrauliches Dokument des Auswärtigen Amtes vom 21. April berichtete, ist die deutsche Bundesregierung offenbar in Sorge wegen der diesbezüglichen „Ambitionslosigkeit Europas“, womit man China das Feld für die steigende Nachfrage nach Infrastrukturprojekten weltweit überlasse. Anstatt sich für eine „sichtbare und global ausgerichtete EU-Konnektivitätsstrategie“ stark zu machen, geschehe nichts, und die Planungen kämen wegen der „Zurückhaltung der Kommission“ nicht von der Stelle, heißt es in dem Papier weiter.“[2] Im Koalitionsvertrag der GroKo stand übrigens bereits Anfang 2018, China sei für „die deutsche Wirtschaft eine große Chance“ und man wolle „eine europäische Antwort“ zur Seidenstraßen-Initiative Chinas entwickeln. Die deutsche Regierung ist also offenbar jahrelang in Brüssel gegen bürokratische Mauern gerannt.
Bei der Außenhandelsplattform des Bundeswirtschaftsministeriums, Germany Trade and Invest (GTAI), konstatierte die Wirtschaftsexpertin Christina Otte im Januar 2020 noch reichlich Probleme und Hindernisse für europäische Unternehmen, an der BRI teilzunehmen, weil die von der EU gestartete Konnektivitätsstrategie „kaum bekannt“ sei, und da „die Initiierung von EU-Projekten einfach eine gewisse Zeit dauert.“ In Sachen Marketing könne man von China durchaus lernen, so Otte.
Keine gemeinsamen Unternehmungen
Der BASF-Vorsitzende Martin Brudermüller hatte zuvor auf einer Veranstaltung des deutschen Außenministeriums zum Thema Neue Seidenstraße geschildert, wie seine Geschäftspartner ihm gegenüber erwiderten, man habe doch gar keine Alternative zu den Chinesen: “Ihr Europäer könntet das, aber ihr bietet gar nichts an.” Der Konzernleiter forderte, dass sich “Politik und Industrie in strategische Dialoge mit den betreffenden Ländern begeben, um sich so aufzustellen, dass wir etwas anbieten können.” Deutsche und europäische Politik sollten die Industrieunternehmen begleiten, so Brudermüller, einschließlich mit Hermes-Bürgschaften und weiteren Instrumenten zur Finanzierungssicherheit. “Nicht immer nur über One Belt, One Road [so hieß die Belt and Road Initiative in ihrer Anfangsphase, Anm. d. Verf.] schimpfen und behaupten, dass die Chinesen eine neue Kolonialpolitik machen, sondern wir brauchen eigene Angebote.” Brudermüllers Mahnungen verhallten offenbar.
Der Mangel an eigenen Angeboten durch die EU ist eklatant. Die GTAI veröffentlichte am 18. März dieses Jahres eine Bilanz der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie[3]. Darin steht, mit China gäbe es nur einen „reinen Erfahrungsaustausch“ zu Infrastrukturprojekten, der „bisher in keinen gemeinsamen Unternehmungen“ gemündet sei. Die EU-Kommission bleibe auch mehr als zwei Jahre nach der Eröffnung der Plattform im September 2018 bei der Umsetzung „träge“. Konkrete Finanzierunginstrumente seien ebenfalls nicht entstanden. Es gäbe lediglich „Pläne, die europäische Finanzierungsinfrastruktur zu reformieren, wozu man eine „Studie in Auftrag gegeben“ habe. Selbst mit Japan, das Ende 2019 die bisher einzige „Konnektivitätspartnerschaft“ mit Brüssel vereinbart hat, seien keine konkreten Projektvorhaben geplant. Stattdessen verhandele man über die Kompatibilität von Standards in Sachen Transparenz und Nachhaltigkeit. Der Eindruck, den die Haltung der EU-Führung bei Regierungen, Unternehmern und Investoren hinterlässt, gleicht einer Kapitulation vor den Zukunftsaufgaben seiner Bürger.
Investitionsabkommen auf Eis
Die EU-Kommission stoppte nunmehr sogar den Ratifizierungsprozess für das Europäisch-Chinesische Investitionsabkommen, obwohl sie dieses sieben Jahre lang ausgehandelte Abkommen noch jüngst in höchsten Tönen gelobt hatte. Wegen der gegenseitig verhängten Sanktionen sei das Umfeld für eine Ratifizierung des Abkommens derzeit nicht günstig, behauptete der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis. Im März hatten die EU, Kanada und die USA Sanktionen gegen China verhängt wegen angeblicher Menschrechtsverletzungen in Xinjiang, was Beijing kategorisch zurückwies und was sich nach gründlichen Recherchen von Journalisten wie Ben Norton als Propaganda von Rechtsaußen erwies.[4]
Dieselbe EU-Kommission hatte zuvor noch davon geschwärmt, dass der Vertrag einen vorher nie dagewesenen Zugang für EU-Investoren zum Markt der größten und am schnellsten wachsenden Wirtschaft der Welt gewähren würde. Der von der EU so oft angemahnten Gleichbehandlung von europäischen Unternehmen (Stichwort: „level playing field“) wäre man einen deutlichen Schritt nähergekommen. Wirtschaftsminister Altmaier hatte von einem „handelspolitischen Meilenstein“ gesprochen, durch den sich die Rechtsicherheit von ausländischen Unternehmen in China stark verbessere. Auch die EU-Handelskammer in China veröffentlichte eine Unterstützungserklärung. Ihr Präsident, Jörg Wuttke, sagte, ein „starkes Abkommen wäre ein bedeutendes Signal dafür, dass ein konstruktives Engagement Resultate produzieren kann.“ Der EU-Kommission fehlt offenbar nicht nur ein solches Engagement, sondern sie ist auch bereit, lebenswichtige Versorgungsleitungen aus ideologischen Gründen zu kappen. Und dies tut sie zu einem Zeitpunkt, da die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und der EU von entscheidender Wichtigkeit für den Wohlstand beider Seiten, insbesondere für Europa, sind.
Erstmals ist China im Jahr 2020 zum größten Handelspartner der EU aufgestiegen. China hat sich durch sein effektives Gesundheitsmanagement von der Coronavirus-Pandemie quasi befreit und verzeichnet ein erneutes kräftiges Wachstum der chinesischen Wirtschaft im ersten Quartal 2021. Ganz anders hierzulande: laut Angaben des Statistischen Amtes der Europäischen Union schrumpfte das BIP der EU im ersten Quartal 2021 um 0,4%. Gerade jetzt wäre eine engere Kooperation mit dem Wirtschaftsmotor China entscheidend für die Rückkehr zu stabilem Wachstum auch in Europa. Stattdessen plant die Kommission weitere Verschärfungen wie beispielsweise eine Verordnung, die chinesischen Investoren Firmenkäufe verbietet oder sie von Ausschreibungen ausschließt. Diese gegen die Interessen der europäischen Bürger betriebene „Systemrivalität“ der EU gegen China könnte sich schnell als das Sägen am eigenen Ast erweisen.
[1] EU-China Connectivity Platform Short-Term Action Plan. https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/2018-07-13-eu-china-connectivity-platform-action-plan.pdf
[2] https://www.handelsblatt.com/politik/international/welthandel-vertraulicher-regierungsbericht-berlin-warnt-vor-chinas-seidenstrasse-und-fordert-eine-europaeische-antwort/27149292.html
[3] https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/eu/eu-asien-konnektivitaetsstrategie-setzt-auf-nachhaltigkeit-599692
[4] https://thegrayzone.com/2021/01/28/ny-times-uighur-china-genocide-falun-gong/