China verändert sich, aber wie?

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JUNGE CHINESISCHE STUDENTEN IM HERZEN EUROPAS SPRECHEN ÜBER DIE ENTWICKLUNGEN IN CHINA: WIE STEHEN SIE ZU SOZIALKREDITEN; ÜBERWACHUNGSKAMERAS, DEN BEZIEHUNGEN CHINAS ZU EUROPA UND DEN USA UND WAS DENKEN SIE ÜBER DIE UMWELT?

Erstes Treffen: Yuwen Gu, Doktorand, Kommunikationsabteilung der Universität VUB, Brüssel. Das Thema: Sozialkredite & CCTV

LHCH: Was halten Sie von der Philosophie der Sozialkredite in China (Überwachungskameras, Tracking auf Smartphones, Internet …)? Ist es ein guter Weg zu mehr Sicherheit und Harmonie in einem riesigen Land, in dem viele Menschen einfach nur reich werden wollen, wie einige chinesische Netizens sagen?

Yuwen Gu: Ich würde nicht sagen, dass China ein Land ist, in dem , wie Sie sagen, viele Menschen einfach nur so schnell wie möglich reich werden wollen. Dies ist keine Vorbedingung für Sicherheit oder Harmonie und sollte keine Voraussetzung für ein soziales Kreditsystem sein. Wohlstand ist definitiv ein Ziel, das eine Nation verfolgen sollte. Der Weg und die Methoden zur Erreichung dieses Ziels können jedoch aufgrund der eigenen historischen Hintergründe und des Status quo einer Nation unterschiedlich sein. Es gibt einen Grund für Überwachungskameras in China, nämlich die allgemein wachsende Besorgnis über den Terrorismus im globalen Maßstab. Das Gleichgewicht zwischen Privatsphäre und Sicherheit ist jedoch immer heikel. Und die Abgrenzung von Sicherheit und der Kritik ab ihr ist derzeit noch verschwommen.

LHCH: Glauben Sie, dass heutzutage mehr Chinesen der Korruption oder sogar des politischen Fehlverhaltens verdächtigt werden können? Oder ist diese Auffassung in Bezug auf den Sozialkredit übertrieben?

Yuwen Gu: Ich glaube, hier müssen zunächst einige Frage geklärt werden: Wie viele Verdächtige werden tatsächlich wegen Korruption verurteilt? Wie könnte sich dieses System bewähren? Gibt es Zahlen, die transparent verglichen werden können? Wird diese Zahl durch das System gestützt? Wenn die Zahlen klar sind, dann ist die Effizienz dieses System stärker belastbar.

LHCH: Sie studieren in Belgien, wo die Menschen mehr an Freiheit als an Sicherheit interessiert sind. Ist das für Sie in Ordnung? Sind die europäischen Ideen aufgeschlossen, zu gutgläubig oder etwa zu freizügig? Was denken Sie?

Yuwen Gu: Ich denke, jeder ist an Sicherheit interessiert. Die Frage, die man sich stellen muss, ist vielleicht: inwieweit opfern wir unsere Freiheit der Sicherheit? Es sind der Umfang und die Folgen für die Opfer des Terrorismus, die von Land zu Land unterschiedlich sein können. Ich vertraue darauf, dass die Länder in dieser Beziehung die richtigen Entscheidungen treffen. Es ist ein bisschen zu allgemein, zu sagen, eine Gesellschaft sei gutgläubig oder freizügig. In erster Linie glaube ich an die Ähnlichkeiten der Menschheit, auch wenn sie auf unterschiedlichen Kontinenten leben. Sie sind vielleicht in einer Sache aufgeschlossen, in einer anderen aber nicht. Für einen rationalen Staat steht das nationale Interesse an erster Stelle. Zweitens, wenn ich ein Adjektiv wählen muss, um die Europäer zu beschreiben, würde ich sagen, dass sie kultiviert sind.

LHCH: Sie studieren in Belgien, im Zentrum Europas. Der Grund dafür ist, dass Sie glauben, dass Europa immer noch ein guter Ort ist, um eine Arbeit zu finden oder ein Unternehmen zu gründen. Europa steht nach der Pandemie vor einer großen Krise. Glauben Sie, dass eine bessere Zusammenarbeit zwischen China und Europa die europäischen Unternehmen und die europäische Wirtschaft ankurbeln wird?

Yuwen Gu: Ich habe die USA nicht als einen Ort empfunden, an dem jeder etwas erreichen kann. Ich wählte Belgien wegen des Partnerschaftsprogramms zwischen meiner Heimatuniversität und der VUB. Ich glaube, die Hälfte der Welt steht diesmal vor einer großen Krise, da die Pandemie immer noch andauert. Ich denke, eine bessere Zusammenarbeit zwischen China und der EU wird die Wirtschaft beider Seiten ankurbeln, egal wann, ob vor oder nach der Pandemie.

LHCH: Europa versucht, sich auf eine nachhaltige und grüne Wirtschaft zu konzentrieren. Hier ist gesunde Ernährung, der Kauf von Bio-Lebensmittel usw. sehr wichtig. Viele Menschen sind Veganer. Glauben Sie, dass auhc die Chinesen ihren Lebensstil zugunsten einer grüneren Welt ändern würden?

Yuwen Gu: Ich denke, es wäre schwierig, sich in China zu ändern. Es gibt jedoch bereits einen Trend in den großen Städten Chinas, dass immer mehr Bourgeoisien einen veganen Lebensstil beginnen. Ich frage mich, ob das für eine grünere Welt ist oder nur, um cool auszusehen und fit zu bleiben.

LHCH: Zum Beispiel der enorme Konsum von Fleisch, insbesondere von Schweinefleisch. Sind Sie hier versucht, Ihre Art zu essen oder zu kochen zu ändern?

Yuwen Gu: Ich glaube auch nicht, dass die Menschen in China so viel Fleisch essen. Fleisch ist notwendig, bei Festen sogar noch notwendiger, aber auch nicht als Hauptgericht. Ich glaube, ich werde kein Veganer werden, aber ich bin auch kein großer Fleischliebhaber.

LHCH: Zum Schluss noch eine Frage: Von Amsterdam bis Shanghaï ein riesiger eurasischer Kontinent – ist dies für Sie ein inspirierendes Konzept für die Zukunft? Teilen in Ihrer Vorstellung die großen europäischen Kulturen und die erstaunliche 5000 Jahre alte chinesische Geschichte und Kultur den gleichen Grad an Kultiviertheit, Glanz und Eleganz?

Yuwen Gu: Natürlich ist dies hier ein aufregender Ort. Das ist auch der Grund, warum meiner Meinung nach immer mehr Studenten nach Europa kommen, um hier zu studieren und sich auszutauschen. Ich denke, beide Kulturen haben Gemeinsamkeiten, und ich freue mich darauf, zum Kultur- und Bildungsaustausch zwischen China und der EU beizutragen.