Der erfahrene US-Diplomat Chas Freeman meint, dass die USA trotz des Geredes über einen neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China in Wirklichkeit aggressiv auf die wachsende chinesische Macht reagieren, deren wirtschaftliche Gewinne die globale Vormachtstellung der USA bedrohen. „Wir haben uns in den letzten 75 Jahren daran gewöhnt, in Ostasien die Vorherrschaft zu haben“, sagt Freeman.
Chas Freeman, der in hohen Positionen im Außenministerium und bei Richard Nixons historischem China-Besuch 1972 als Chefdolmetscher tätig war, spricht über den Stand der Beziehungen zwischen den USA und China und über Konfliktherde wie Hongkong, Taiwan und Xinjiang.
„Seit etwa 1870 sind wir die herausragende Gesellschaft auf dem Planeten – die wohlhabendste und technologisch fortschrittlichste, die einflussreichste. Und jetzt überholt uns China“, meint Freeman. „Es geht also um ein psychologisches Problem. Vieles von dem, was wir tun, lässt sich besser mit Psychologie als mit Staatskunst erklären. China bedroht die wirtschaftliche Vormachtstellung Amerikas, hat uns vielleicht schon in vielerlei Hinsicht überholt… Ob das eine Bedrohung ist oder nicht, hängt von der Wahrnehmung ab. Wir haben uns entschieden, dies als Bedrohung der nationalen Sicherheit oder als militärische Bedrohung zu betrachten. Das wird dem militärisch-industriellen Komplex eine Zeit lang sehr gut tun.“
Gast: Chas Freeman. Erfahrener US-Diplomat und Beamter, der in vielen hochrangigen Positionen tätig war, u.a. als stellvertretender Verteidigungsminister für internationale Sicherheitsangelegenheiten, US-Botschafter in Saudi-Arabien, Direktor für chinesische Angelegenheiten im US-Außenministerium und als Chefdolmetscher der USA während des historischen Besuchs von Präsident Nixon in China 1972.
TRANSCRIPT
AARON MATÉ: Willkommen bei Pushback, ich bin Aaron Maté. Bei mir ist Botschafter Chas Freeman. Er ist Gastwissenschaftler am Watson Institute for International and Public Affairs der Brown University. Er ist ein altgedienter US-Diplomat und Beamter, der in vielen Positionen tätig war, unter anderem als stellvertretender Verteidigungsminister für internationale Sicherheitsfragen, als US-Botschafter in Saudi-Arabien und als Direktor für chinesische Angelegenheiten im US-Außenministerium. Und als Chefdolmetscher der USA während des historischen Besuchs des verstorbenen Präsidenten Nixon in China im Jahr 1972. Herr Botschafter Freeman, willkommen bei Pushback.
CHAS FREEMAN: Ich freue mich, hier zu sein.
AARON MATÉ: Ihre Erfahrung als Dolmetscher für Nixon in China ist für das Thema, über das ich heute mit Ihnen sprechen möchte, sehr wichtig. Und das ist China. Es wird viel darüber geredet, dass sich die USA jetzt in einem neuen Kalten Krieg mit China befinden. Glauben Sie, dass diese Bezeichnung zutreffend ist?
CHAS FREEMAN: Nein, das glaube ich nicht. Der Kalte Krieg war sowohl ein ideologischer als auch ein strategischer Kampf. Es gibt keine Ideologie, die China jemandem aufzwingt. Und das Ergebnis des Kalten Krieges ist der Kampf zwischen zwei Staatenblöcken. Unseren nannten wir die freie Welt, die Sowjets hatten ihr Lager. Aber China hat keine Verbündeten. Es hält Verbündete nicht für sinnvoll, sondern betrachtet sie als Belastung. Es handelt sich also um etwas völlig anderes. Und, was noch wichtiger ist, China ist in keiner Weise die Sowjetunion. Die Wirtschaft des Landes ist etwa so groß wie die unsere, nominal etwas kleiner, aber in Bezug auf die Kaufkraft um einiges größer. Es gibt in China keinen Abwärtstrend, die Militärausgaben sind niedrig.
Durch unser Wettrüsten mit der Sowjetunion haben wir diese wohl in den Bankrott getrieben. Wenn wir uns allerdings auf ein Wettrüsten mit China einlassen, sind wir leider eher diejenigen, die bankrott gehen werden. China kann man also nicht aufhalten. Es ist völlig in die globale kapitalistische Welt integriert. Und das Hauptproblem aus Sicht der Trump-Regierung war, dass China im internationalen kapitalistischen Spiel zu erfolgreich ist. Es gibt also wirklich viele, viele Unterschiede, und der Vergleich hinkt sehr. Schließlich besteht wohl keine Aussicht darauf, dass dieser Streit wie der Kalte Krieg mit der Sowjetunion damit endet, dass die Chinesen entmutigt und bankrott sind und aus dem Wettbewerb ausscheiden. Das wird einfach nicht passieren. Ich halte das also für eine sehr oberflächliche, gedankenlose und irreführende Analogie.
AARON MATÉ: Ich wollte Sie auch fragen, was Sie von der Rede von Außenminister Mike Pompeo vom Juli halten. Sie hat nicht gerade viel Aufmerksamkeit erregt. Aber ich fand sie doch sehr wichtig. Er sagte unter anderem, dass China die Bedrohung unserer Zeit sei und dass die USA sich ihr stellen müssten. Was war die Reaktion auf die Rede von Pompeo?
CHAS FREEMAN: Nun, im Wesentlichen hat er einen Regimewechsel in China gefordert. Er unterscheidet fälschlicherweise zwischen der Kommunistischen Partei Chinas und ihren rund 90 Millionen Mitgliedern und der chinesischen Gesellschaft als Ganzes und fordert den Sturz der Kommunistischen Partei Chinas. Und diese Rede war ein Meilenstein der Schmähkritik, eine Beleidigung, die die Chinesen garantiert wütend machte und darauf abzielte, die Anhänger der Trump-Regierung bei den Wahlen im Jahr 2000 hinter sich zu scharen. Aber außenpolitisch gesehen war es eine Farce.
AARON MATÉ: Und wenn die Trump-Regierung, und nicht nur die Regierung, sondern auch viele andere, über China sprechen, stellen sie es als eine nationale Sicherheitsbedrohung dar, und zwar auf eine parteiübergreifende Art. Das Vorgehen gegen das Telekommunikationsunternehmen Huawei wird uns dann als Verteidigung der nationalen Sicherheit präsentiert. Das Vorgehen Trumps gegen das Social-Media-Unternehmen TikTok wird auch als Frage der nationalen Sicherheit gesehen. Sehen Sie das auch so?
CHAS FREEMAN: Ich denke, China stellt für die Vereinigten Staaten ein Problem für die nationale Sicherheit dar, vor allem weil wir seit etwa 1870 die führende Gesellschaft auf dem Planeten sind, die wohlhabendste und technologisch fortschrittlichste, die einflussreichste. Und China ist dabei, uns zu überholen. Es handelt sich also um ein psychologisches Problem. Und vieles von dem, was wir tun, lässt sich besser mit Psychologie als mit Staatskunst erklären.
China ist tatsächlich eine Bedrohung für die wirtschaftliche Vormachtstellung Amerikas und hat uns vielleicht schon in vielerlei Hinsicht überholt. 30 % der weltweit hergestellten Produkte werden heute in China hergestellt, während es hierzulande nur etwa 16 % sind. In technologischer Hinsicht entwickelt sich das Land zu einem wichtigen Innovator: Etwa ein Viertel der Wissenschaftler, Technologen, Ingenieure und Mathematiker der Welt sind Chinesen. Und der Anteil wächst. In ein paar Jahren wird es in China mehr MINT-Fachkräfte geben als im gesamten OECD-Raum, d. h. in ganz Westeuropa, und in den Vereinigten Staaten zusammen. Ich denke also, dass es definitiv eine Herausforderung ist. Ob das eine Bedrohung ist oder nicht, hängt von der Wahrnehmung ab. Wir haben uns entschieden, dies als Bedrohung der nationalen Sicherheit oder als militärische Bedrohung zu betrachten. Das wird dem militärisch-industriellen Komplex eine Zeit lang sehr gut tun.
Aber das Problem ist natürlich, dass wir keine Strategie haben, um den Streit mit China auf einen bestimmten Bereich zu beschränken. Wir haben mit einem Handelskrieg begonnen, der sich schnell auf alle anderen Bereiche der Beziehungen ausgeweitet hat. Und nun scheinen wir in vielerlei Hinsicht am Rande eines Krieges um Taiwan zu stehen. Mit einer Atommacht wegen ihrer territorialen Integrität und Souveränität in den Krieg zu ziehen, ist etwas, was wir noch nie versucht haben. Und es ist wahrscheinlich gar nicht gut, das zu versuchen.
AARON MATÉ: Wenn US-Vertreter jetzt über China sprechen, haben Analysten, denen ich folge, darauf hingewiesen, dass sie Xi Jinping nicht einmal mehr als den Präsidenten Chinas bezeichnen, sondern als Generalsekretär. Und sie beziehen sich nicht auf die chinesische Regierung, sondern auf die Kommunistische Partei. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach?
CHAS FREEMAN: Nun, das ist Teil des Spiels mit dem Regimewechsel. Wenn Sie sagen, dass das Regime der Kommunistischen Partei Chinas irgendwie illegitim ist, können Sie so tun, als ob das kein Angriff auf das chinesische Volk wäre. Aber jede Umfrage, die in China durchgeführt wurde, und es gab viele, die recht zuverlässig sind, zeigt ein hohes Maß an Zufriedenheit, wenn nicht sogar aktiver Unterstützung für die Kommunistische Partei Chinas – übrigens ein ganzes Stück höher als die Unterstützung in den Vereinigten Staaten für unser Regierungssystem, das zu meinem großen Bedauern stark ramponiert wurde, ein Großteil der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung ist ausgehöhlt. Die Grundrechte sind teilweise gefährdet. Wissen Sie, wir haben ein System, von dem immer mehr Amerikaner zutiefst enttäuscht sind.
In China ist das anders. Das Land ist nicht von einer Ideologie oder irgendwelchen Denkmustern abhängig und präsentiert sich der Welt auch nicht auf diese Weise, sondern verlässt sich auf die Leistung der Regierung, auf das Wachstum, das wirksame Antworten auf Probleme wie die Pandemie liefert, die wir gerade erleben. China ist derzeit die einzige große Volkswirtschaft, die tatsächlich wächst. Und es ist die einzige Gesellschaft, die ironischerweise [wächst], weil man in China seit jeher Masken trägt, um sich vor ansteckenden Krankheiten zu schützen. Es geht mehr um die Rücksichtnahme des Maskenträgers als um Schutz. In China muss man keine Maske mehr tragen. Das Coronavirus ist so gut wie eingedämmt. Zweifellos wird es von Zeit zu Zeit wieder aufflammen. Aber die chinesische Reaktion war wirksam. Unsere hingegen war ein einziges Desaster.
AARON MATÉ: Wenn es zu einem militärischen Konflikt zwischen den USA und China käme, was wäre Ihrer Meinung nach der wichtigste Krisenherd? Und welche Folgen könnten Sie vorhersehen?
CHAS FREEMAN: Nun, ich denke, wir müssen verstehen, was die Quelle des Konflikts wäre, und das wäre mit ziemlicher Sicherheit die Taiwan-Frage. Aus chinesischer Sicht und aus der Sicht vieler Asiaten ist die Taiwan-Frage die Fortsetzung eines nicht beendeten Bürgerkriegs. 1949 siegte die Kommunistische Partei Chinas auf dem Festland, aber [der ehemalige chinesische Präsident] Chiang Kai-Shek und die Kuomintang zogen sich nach Taiwan zurück.
Nach dem Ausbruch des Koreakrieges intervenierten die Vereinigten Staaten, um die Fortsetzung des chinesischen Bürgerkrieges zu verhindern. Die Auseinandersetzungen wurden nur ausgesetzt aber nie beigelegt. Inzwischen hat sich Taiwan natürlich weiterentwickelt und ist zu einer bewundernswert demokratischen Gesellschaft geworden. Aber es ist immer noch Erbe der gegnerischen Parteien im Bürgerkrieg. Aus chinesischer Sicht ist dies also ein Krieg darüber, wer China regiert. Und was chinesisches Territorium ist, das ist den Chinesen ungeheuer wichtig. Die Waagschale, was die Gefühle betrifft, neigt sich also sehr zugunsten Chinas.
Manchen Amerikanern mag Taiwan am Herzen liegen, und ja, auch mir liegt es am Herzen. Aber ich mache es sicher nicht zum Kernstück meiner nationalen Politik, so wie es die Chinesen tun. Die Chinesen haben bis vor kurzem nicht wirklich viel getan, um sich auf eine tatsächliche Eroberung Taiwans vorzubereiten. Wir haben einige Vereinbarungen mit den Chinesen getroffen, die wir auf der Nixon-Reise 1972 und später bei der Normalisierung unter Jimmy Carter und [dem ehemaligen chinesischen Vizepremier] Deng Xiaoping 1979 ausgearbeitet haben.
Und nach und nach haben die Vereinigten Staaten begonnen, diese zu verletzen. Wir haben uns darauf geeinigt, die Quantität und Qualität der Waffenverkäufe an Taiwan schrittweise zu begrenzen, sie zu reduzieren; diese Beschränkung haben wir völlig außer Kraft gesetzt. Wir haben vereinbart, keine offiziellen Beziehungen zu Taiwan zu unterhalten; wir haben gerade 250 Millionen Dollar ausgegeben, um etwas zu bauen, das einer Botschaft in Taipeh sehr ähnlich sieht. Wir waren uns einig, dass es keine offiziellen Beziehungen geben würde; es wurden lediglich Kabinettssekretäre bzw. Personen mit Kabinettsrang nach Taipeh geschickt. Wir haben uns darauf geeinigt, dass alle militärischen Einrichtungen und Anlagen sowie die Truppen abgezogen werden; und wir verlegen heimlich wieder Truppen nach Taiwan.
Als Antwort darauf haben die Chinesen eine gewaltige Kapazität aufgebaut, um Taiwan einzunehmen, und meines Wissens – obwohl ich nicht mehr in geheime Informationen eingeweiht bin – haben die Vereinigten Staaten in jedem Kriegsspiel, in jedem Szenario, das wir gespielt haben, den Krieg um Taiwan verloren. Und man muss sich fragen: Was bedeutet es, zu gewinnen? Also wenn man Taiwan gewinnt. Ist es dann eine rauchende Ruine, mit zerstörter Demokratie? Vielleicht wäre es dann immer noch von der Volksrepublik China getrennt. Aber China wird nicht verschwinden, es wird sich wieder aufbauen und zurückkommen.
Wissen Sie, das ist schon einmal in der Geschichte passiert, aber die Leute scheinen das nicht zu wissen. Im 17. Jahrhundert, als die Ming-Dynastie fiel und die Mandschu- oder Ching-Dynastie an die Macht kam, stand Taiwan etwa 40 Jahre lang unter einer Ming-Prätendentenregierung. Es gab 11 Invasionsversuche der Mandschus oder der Ching gegen Taiwan. Die ersten 10 scheiterten und kosteten etwa eine halbe Million Soldaten. Die letzte, die elfte, war erfolgreich. China wird in dieser Sache nicht aufgeben. Ich frage mich also wirklich, warum wir bei der Taiwanstraße eher auf militärische Abschreckung als auf politischen Dialog setzen.
AARON MATÉ: Was glauben Sie, ist die Erklärung? Warum machen wir das?
CHAS FREEMAN: Nun, ganz grob gesagt: weil wir es können. Wir haben uns in den letzten 75 Jahren daran gewöhnt, in Ostasien die Oberherrschaft zu haben. Wir haben als Land die Angewohnheit, andere Länder unter unseren Schutz zu stellen, ohne von ihnen zu verlangen, dass sie selbst viel tun. Das ist etwas, das Herr Trump, wie ich finde, ziemlich vernünftig herausgestellt hat. Taiwan hat seinen Verteidigungshaushalt gekürzt und die Größe seiner Streitkräfte reduziert, weil es davon ausgeht, dass die Amerikaner bereit sind, für Taiwan zu sterben. Und ich bin mir nicht sicher, ob das richtig ist. Wir werden es wohl herausfinden, wenn und falls es tatsächlich zu einem Krieg kommt.
AARON MATÉ: Es ist interessant, die Art und Weise zu vergleichen, wie Sie die US-Politik gegenüber China als eine Politik des Regimewechsels charakterisieren – wenn wir Mike Pompeos Worte für bare Münze nehmen – und wie Trumps China-Politik diskutiert wird, denn wenn man hört, dass Trump in Bezug auf China kritisiert wird, oder wenn die Medien über Trumps Herangehensweise an China berichten, dann wird in den USA gesagt, dass er Xi Jinping gegenüber übermäßig freundlich und unterwürfig sei. Ganz ähnlich beschreiben ja die US-Medien und sogar Trumps Kritiker im Kongress seine Politik gegenüber Russland. Sie sprechen darüber, dass er viel Nettes über Wladimir Putin zu sagen hat und ihn nie kritisiert. Inzwischen vertritt Trump eine sehr harte Haltung gegenüber Russland. Was denken Sie über den Kontrast zwischen der Art und Weise, wie Trumps Politik gegenüber Russland und China diskutiert wird, und der Realität, wenn es um die tatsächliche Politik geht?
CHAS FREEMAN: Herrn Trumps Version der so genannten Diplomatie besteht darin, den Führern anderer Länder zu huldigen, egal ob es sich um Putin, Kim Jong-Un oder Xi Jinping handelt. Und vergessen Sie nicht, dass er auch im Fall von Nordkorea damit gedroht hat, das Land in einen Parkplatz zu verwandeln. Und im Fall von China hat er alle Register gezogen. Es gibt keinen einzigen Aspekt der Beziehungen zwischen den USA und China – ob es sich nun um wirtschaftliche Interaktion, Technologie, kulturellen Austausch, Studentenpräsenz, wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit oder um militärischen Austausch handelt – was auch immer es ist. Wir bemühen uns sehr, China zurückzudrängen. All das Lächeln und so weiter… an der Spitze ist also offensichtliche Heuchelei, und ich denke, dass dies von den führenden Politikern im Ausland von Anfang an so gesehen wurde. Sie sind nicht aufrichtig. Das ist alles Schmeichelei. Es ist völlig durchsichtige Heuchelei und das funktioniert nicht. Das ist keine erfolgreiche diplomatische Technik.
AARON MATÉ: Ein wichtiges Thema in den Beziehungen zwischen den USA und China oder zumindest ein Thema, auf das sich die US-Regierung häufig beruft, ist sowohl Hongkong, die Separatistenbewegung oder die pro-demokratische Bewegung in Hongkong, je nach Sichtweise, als auch die Notlage der Uiguren, der uigurischen Muslime, an denen die chinesische Regierung einen Völkermord verübt, wie man in den US-Medien lesen kann. Das ist die vorherrschende Rhetorik. Ich frage mich, was Sie über diese Themen denken und wie sie Ihrer Meinung nach von außen, von uns, die wir nicht in China sind, gesehen werden sollten.
CHAS FREEMAN: Ich denke, sie sind in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich. Im Fall von Hongkong hatten wir also „Ein Land, zwei Systeme“, was auch funktionierte. Hongkong war jedoch im Rahmen des Übergabeabkommens verpflichtet, ein nationales Sicherheitsgesetz zu verabschieden, das den „Ein Land”-Teil der „Ein Land, zwei Systeme”-Vereinbarung schützte, und war aufgrund des lokalen Widerstands nicht in der Lage, dies zu tun. Man spricht vom Schutz der Demokratie in Hongkong, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es in Hongkong nie eine Demokratie gab. Die Briten nahmen es 1842 ein. Und sie sind erst kurz vor der Rückgabe an China im Jahr 1997 dazu gekommen, über die Vorzüge der Demokratie nachzudenken. Es gab also in Hongkong keine Demokratie. Aber es gab freie Meinungsäußerung, es gab Rechtsstaatlichkeit, und das ist der „Zwei-Systeme-Teil“ der Vereinbarung.
Ob die Demonstranten aufrichtig für die Demokratie eintraten oder nicht, ist in gewisser Weise fast nebensächlich. Die Demonstranten griffen den „One China“-Teil des Abkommens an, sie verteidigten nicht die beiden Systeme. Und das hatte das unvermeidliche tragische Ergebnis, das man bekommt, wenn man mit vor einem Stier oder einem Drachen mit einem Umhang winkt. Und China sah sich gezwungen, für Hongkong das zu tun, was Hongkong selbst nicht tun kann, obwohl es dazu verpflichtet ist, nämlich ein Gesetz über die nationale Sicherheit zum Schutz der Integrität der Beziehungen zwischen Hongkong und China zu erlassen. Inzwischen wissen wir nicht mehr, wie es weitergehen soll. Ich bin sicher, dass es schwierig sein wird. Nach den ersten Berichten zu urteilen, ist dies sicherlich ein Rückschlag für die Pressefreiheit in Hongkong. Aber es ist durchaus möglich, dass die Ergebnisse nicht so schlimm ausfallen werden, wie viele vorhersagen.
AARON MATÉ: Haben die USA hier eine Rolle gespielt, Botschafter Freeman? Kürzlich wurde aufgedeckt, dass die USA Millionen von Dollar zur direkten Finanzierung der Demonstranten in Hongkong bereitgestellt haben. Die National Endowment for Democracy (Nationale Stiftung für Demokratie) hat sich zu ihrer Beteiligung an der Unterstützung der Proteste in Hongkong geäußert. Glauben Sie, dass die USA bei der Eskalation der Spannungen und Unruhen in Hongkong eine Rolle gespielt haben?
CHAS FREEMAN: Das weiß ich nicht. Aber sicherlich haben die USA bei der allgemeinen Befürwortung eines Regimewechsels in China eine Rolle gespielt, wie ich bereits sagte. Wir haben – oder ein Großteil der US-Politik – jedes Regime, das sich selbst als kommunistisch bezeichnet, als von Natur aus illegitim und stürzungswürdig betrachtet. Auch die National Endowment for Democracy vertritt diese Ansicht. Ich weiß also nicht, was wir vor Ort getan haben. Die Chinesen behaupten, sie hätten Beweise dafür, dass wir tatsächlich aktiv waren und die Unruhen in Hongkong gefördert haben. Ich bin nicht bereit, das zu akzeptieren. Aber ich denke, wir tragen sicherlich eine gewisse Verantwortung für die Schaffung eines Kontextes für diese Unruhen und im Grunde genommen für die Anarchie. Ich meine, es gab Unruhen, die in vielerlei Hinsicht mit denen vergleichbar waren, die wir hier im Zusammenhang mit dem Thema Black Lives Matter hatten. Und wir verurteilen die Chinesen meiner Meinung nach eher scheinheilig, obwohl in Hongkong niemand von der Polizei getötet wurde. Es gab nur sehr wenige Verletzte. Das ist in den Vereinigten Staaten mit den Ausschreitungen in den Städten, die wir erlebt haben, anders. Unsere Polizei ist offenbar nicht so gut ausgebildet und freundlich wie die, die die Briten in Hongkong zurückgelassen haben.
Sie haben nach Xinjiang gefragt. Das ist etwas anderes. Xinjiang ist eine Angelegenheit der ethnischen Minderheiten. Es liegt im äußersten Westen von China. Wenn man mit Uiguren zusammentrifft, wie ich es getan habe, werden einige von ihnen beklagen, dass die Sowjetunion – die unter Stalin versucht hat, sie vom übrigen China abzuspalten und damit gescheitert ist – keinen Erfolg hatte. Sie sagen nämlich: „Wenn wir nur Teil der Sowjetunion gewesen wären, wären wir jetzt ein unabhängiges Land“, wie Kasachstan oder Kirgisistan oder Usbekistan oder Turkmenistan, Tadschikistan – die anderen zentralasiatischen Republiken Alle diese Ethnien sind übrigens – mit Ausnahme der Usbeken – in Xinjiang vertreten, ebenso wie die Mongolen usw. Es handelt sich um 52 verschiedene ethnische Minderheiten. Keine davon stellt allerdings die Mehrheit. Bei den Uiguren handelt es sich höchstens um eine größere Gruppe, vielleicht 40 % der Bevölkerung, vielleicht auch weniger, denn sie migrieren auch nach China, und die Han-Chinesen migrieren nach Xinjiang.
Ich glaube nicht, dass das, was die Chinesen in Xinjiang tun, gut durchdacht ist oder funktionieren könnte, und es ist sicherlich höchst verwerflich. Ob es sich dabei um einen Völkermord handelt oder nicht, ist aus jeder Perspektive umstritten. Ganz gewiss ist es ein Angriff auf die Kultur der Uiguren und auf ihre Ausübung des Islam. Und das ist sehr unchinesisch, denn die Chinesen zwingen anderen Völkern traditionell keine Assimilation auf. Sie schaffen eher Anreize, die dazu führen, dass dies allmählich geschieht.
Ich meine, wenn ich mich daran erinnere, wie ich vor 25 Jahren in Xinjiang mit einigen Uiguren sprach – von denen übrigens einige ziemlich gut Arabisch sprechen, da sie mit dem Islam aufgewachsen sind. Viele von ihnen sprechen fließend Chinesisch. Ich habe sie gefragt: „Warum schicken Sie Ihr Kind in eine chinesische Grundschule oder einen Kindergarten? Und sie sagten: „Nun, es ist ganz einfach. Wenn ich mein Kind auf eine chinesische Schule schicke, wird es in der dritten Klasse mit Englisch anfangen. Und dann könnte mein Kind später Erdölingenieur oder ein anderes Mitglied der wissenschaftlichen Elite des Landes sein. Aber wenn ich mein Kind auf eine Schule schicke, in der eine Xinjiang-Sprache gesprochen wird, fängt es in der dritten Klasse mit Chinesisch und in der siebten Klasse mit Englisch an, und am Ende wird es auf dem Markt Töpfe verkaufen.“
Das war also eine Art Druck, der allmählich zu einem gewissen Grad an Assimilation führte. Dann kam der Terrorismus dazwischen. Offen gesagt haben die Chinesen mit den Uiguren ein echtes Terrorismusproblem. Viele Uiguren haben in Afghanistan gekämpft. Einige wurden von uns gefangen genommen und in Kuba inhaftiert, wo sie sich aufhielten.
Und dann sagten wir, wir können sie nicht woanders hinschicken – denn wenn wir sie nicht in unserem Gewahrsam hätten, könnten sie außergewöhnlichen Verhörmethoden ausgesetzt werden, die wir natürlich ironischerweise bei ihnen und in Kuba angewandt haben. Also haben wir sie an Orte wie Albanien, die Marshallinseln, Palau und so weiter gebracht. So sollen 3000 Uiguren mit ISIS in Syrien gekämpft haben. Es geht hier also nicht um eine eingebildete Situation, und es hat ein paar schwerwiegende terroristische Anschläge gegeben. Aber ich denke, die chinesische Reaktion ist sowohl fehlgeleitet als auch, offen gesagt, aus einer liberalen Perspektive, völlig entsetzlich.
AARON MATÉ: Die Gefahr, dass die USA versuchen, dies auszunutzen und zu einem Thema zu machen, um einen Regimewechsel in China zu unterstützen, halten Sie das für eine berechtigte Sorge?
CHAS FREEMAN: Also, sowas ist bei uns ja schon lange Tradition. Ich meine, wir haben etwa 300 Millionen Dollar ausgegeben, um Tibet zu destabilisieren. Und tatsächlich gab es ein CIA-Team, das den Dalai Lama 1959 aus Lhasa hinausbegleitete. Gleichzeitig haben wir in Zusammenarbeit mit der Türkei versucht, bei den Uiguren in Xinjiang das Gleiche zu tun, allerdings ohne großen Erfolg. Die Türkei ist ein wichtiges Land; ich meine, ohne die Zustimmung oder Unterstützung der Türkei kann man gegenüber einer großen Zahl von Ländern keine erfolgreiche Politik betreiben. Ich spreche von Syrien, Israel, Irak, Iran, dem Kaukasus, dem Schwarzen Meer, Zentralasien, Russland, der EU, der NATO, Griechenland, Zypern, dem Balkan, der islamischen Welt und so weiter.
Die Türkei ist ein enorm wichtiges Land, das derzeit zwischen Nord und Süd und Ost und West hin und her schwankt. Und sie ist um gute Beziehungen zu China bemüht, deshalb unterstützt sie das Turkvolk, die Uiguren und Kasachen in Xinjiang nicht mehr so sehr. Aber auch da haben wir eine Vorgeschichte. Die Chinesen wissen das, und nur sehr wenige Menschen in den Vereinigten Staaten erinnern sich daran. Und ich glaube nicht, dass es ein Ärgernis für die Chinesen ist, es wird nichts Ernsthaftes bewirken.
AARON MATÉ: In der Grauzone haben wir einige Berichte über die Quellen erstellt, die für die Behauptungen über die Notlage der Uiguren herangezogen werden. Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass China einen massiven Überwachungsstaat aufgebaut hat. Es gibt diese Internierungslager, Umerziehungslager, wie immer man sie nennen will, manche nennen sie sogar Konzentrationslager. Aber unsere Berichterstattung, insbesondere die meines Kollegen Ajit Singh, hat gezeigt, dass die angeführten Zahlen – die Vorstellung von Millionen von Uiguren in diesen Lagern – nicht durch Beweise gestützt werden. Und tatsächlich stammen diese Behauptungen von rechtsgerichteten Gruppen, die direkt von der US-Regierung und anderen westlichen Staaten finanziert werden. Können Sie allgemein etwas dazu sagen, dass man Behauptungen der US-Regierung, die auf einen Regimewechsel abzielen, skeptisch gegenüberstehen sollte, und stützen sich diese Ihrer Erfahrung nach auf zweifelhafte Quellen wie diese?
CHAS FREEMAN: Nun, ich denke, in der US-Regierung und in der Gegenwart herrscht eine allgemeine Atmosphäre der Anti-China-Stimmung und eine große Leichtgläubigkeit gegenüber Anschuldigungen gegen China. Die Voreingenommenheit führt also dazu, dass spricht also dafür, jede Behauptung gegen China zu akzeptieren, egal wie unbegründet oder unbewiesen sie sein mag. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass in Xinjiang schreckliche Dinge geschehen. Die genauen Einzelheiten – die Zahlen und andere Dinge – halte ich für höchst fragwürdig, und zweifellos ändern sie sich im Laufe der Zeit.
Ich würde sie übrigens nicht als Konzentrationslager bezeichnen. Die Briten erfanden sie im Burenkrieg in Südafrika, um die Afrikaner – Frauen, Kinder und Männer – hinter Stacheldraht einzusperren. Sie waren entsetzlich. Sie ließen sie hungern und misshandelten sie. Ich denke, dass es in diesen Einrichtungen in Xinjiang sicherlich psychologische Misshandlungen gibt, die ich als unerträglich bezeichnen würde, aber man kann sie nicht wirklich als Konzentrationslager bezeichnen.
Wissen Sie, und ich frage mich auch, sie ähneln Gefängnissen, sie sollen die Menschen umerziehen. Ich vermute, dass sie eher unseren eigenen Gefängnissen ähneln, in denen die Menschen dazu erzogen werden, krimineller zu werden, als sie es zu Beginn ihrer Haft waren. Das alles wird für die Chinesen kontraproduktiv sein. Und ich habe in meinen eigenen Gesprächen mit denjenigen, die zuhören, unter den chinesischen Freunden gesagt, dass ich glaube, dass sie einen großen Fehler machen.
AARON MATÉ: Und was antworten sie Ihnen darauf?
CHAS FREEMAN: Sie sagen mir, dass sie nicht über das Thema sprechen wollen. Dies ist derzeit ein Problem, das sich aus unterschiedlichen Gründen stellt… China hat in den letzten 40 Jahren eine Phase zunehmender Offenheit durchlaufen und befindet sich nun in einer Phase der Abschottung. Die Dinge laufen aus dem Ruder, die Menschen werden politisch gegängelt. Der ehrliche Dialog, den man früher mit chinesischen Gesprächspartnern führen konnte, ist heute angespannter und schwieriger geworden. Und das Beharren auf dem, was John Fuster Dulles „positive Loyalität“ nannte, ist in China lebendig und gut. Ich denke also, dass der aktuelle politische Trend in China das Land als Gesellschaft zunehmend unattraktiv macht. Und auch das ist sicher nicht gut für die Chinesen.
AARON MATÉ: Und wenn die USA ihre Haltung gegenüber China ändern würden, glauben Sie, dass dies einen Einfluss auf den internen Charakter hätte, von dem Sie sprechen?
CHAS FREEMAN: Ich bin mir nicht sicher, dass es da einen direkten Zusammenhang gibt. Ich glaube nicht, dass die Vereinigten Staaten China liberalisieren können. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob wir das Land autoritärer machen könnten. Aber wenn man sich an allen erdenklichen Fronten in einem virtuellen Krieg mit China befindet, scharen sich die Menschen in Kriegszeiten normalerweise hinter die Flagge. Die Freiheitsrechte werden beschnitten. Und das passiert in China. In gewisser Weise kann man die gegenwärtigen Trends also als Reaktion auf die gravierende Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China und die ernsthafte Aussicht auf einen Krieg zwischen den beiden Ländern sehen.
AARON MATÉ: Da Sie in der US-Regierung gedient haben und in den 1990er Jahren am Aufbau des neuen NATO-Systems, des europäischen Sicherheitssystems nach dem Kalten Krieg, beteiligt waren, möchte ich Sie zu einem sehr wichtigen Thema befragen. Es handelt sich dabei um die Gespräche über den New-Start-Vertrag, den letzten verbleibenden Vertrag zur Begrenzung der Atomwaffenbestände sowohl der USA als auch Russlands, die derzeit nur wenig Beachtung finden. Die Trump-Regierung, die im Wesentlichen damit droht, den Vertrag zu kippen, hat eine Reihe von Forderungen an Russland gestellt, darunter ein kürzeres Zeitfenster für die Verlängerung des Vertrages und die Aufnahme neuer Bedingungen. Russland hat vorgeschlagen, New START einfach bedingungslos zu verlängern. Ich frage mich, was es bedeuten würde, wenn New START einfach verschwände.
CHAS FREEMAN: Nun, wir sollten zunächst einmal anerkennen, dass die Regierung mit der absurden Vorstellung begann, die Chinesen zu diesen Gesprächen zu zwingen. Das ist deshalb absurd, weil China eine No-First-Use-Politik verfolgt, während dies weder für Russland noch für die Vereinigten Staaten gilt. Und Chinas Nuklearstreitkräfte sind entsprechend aufgestellt. Sie sind sehr, sehr klein im Vergleich zu denen der Vereinigten Staaten und Russlands. Damit China in diese Gespräche einbezogen werden kann, müssten die Vereinigten Staaten und Russland das chinesische Niveau, das wahrscheinlich bei etwa 300 Sprengköpfen liegt, gegenüber vielen Tausenden, herunterschrauben. Es war also bloß ein Trick – Wahlkampfrhetorik und die Anti-China-Kampagne. Das hat sich aber wohl inzwischen erledigt.
Ehrlich gesagt, ich glaube, die Russen haben Recht: Was nicht kaputt ist, sollte man nicht reparieren. Dieser Vertrag hat für beide Seiten sehr gut funktioniert. Zweifelsohne könnten Verbesserungen vorgenommen werden. Aber wenn man von vornherein annimmt, dass man die Verhandlungen in irgendeiner Weise in ein Nullsummenspiel verwandelt, während der Zweck der Rüstungskontrolle darin besteht, eine Situation zu schaffen, in der beide Seiten von Selbstbeschränkung und Gegenseitigkeit profitieren, dann lädt das die andere Seite ein, zu folgen. Das halte ich für Unsinn.
AARON MATÉ: Und zuletzt, was halten Sie von Chinas Entwicklung in internationalen Angelegenheiten, insbesondere in Angelegenheiten, die die Vormachtstellung der USA berühren? China nimmt beispielsweise im UN-Sicherheitsrat eine stärkere Position ein und verbündet sich in Syrien-Fragen mit Russland. Vor kurzem war die Rede davon, dass China beim Wiederaufbau Syriens nach dem jahrzehntelangen von den USA unterstützten Stellvertreterkrieg helfen könnte. China schließt Abkommen mit dem Iran, der ebenfalls von den Regimewechselbemühungen seitens der USA betroffen ist. Was halten Sie von der Rolle Chinas in diesem Bereich, wie hat sie sich im Vergleich zur Vergangenheit verändert? Und erklärt dies auch, warum die USA dem Land gegenüber zunehmend feindselig eingestellt sind?
CHAS FREEMAN: Nun, China – also Peking [die Volksrepublik China] – wurde von den Vereinigten Staaten 23 Jahre lang aus der UNO herausgehalten und erst 1971 anstelle von Taipeh [der Republik China], einer rivalisierenden chinesischen Regierung, aufgenommen. Während dieser früheren Zeit haben die Vereinigten Staaten übrigens jeden chinesischen Vertreter daran gehindert, in irgendeiner internationalen Organisation aufzutreten, in welcher Funktion auch immer.
Das ist also der Hintergrund. Als China in die UNO eintrat, befand es sich im Wesentlichen in einer Lernphase, es war vorsichtig. Das war klug. Die einzigen Vetos, die China eingelegt hat, dienten der Verteidigung der Souveränität anderer Nationen gegenüber westlich geförderten Konzepten wie der „Schutzverantwortung“ oder Konzepten der begrenzten Souveränität. Und die Chinesen waren sehr sparsam im Gebrauch des Vetorechts. Sie haben bis vor kurzem nicht wirklich viel mit den Russen zusammengearbeitet. Sie blieben auf Distanz. Aber die Vereinigten Staaten haben im Grunde die beiden zusammengeschoben – wir üben enormen Druck auf die Russen im Westen und enormen Druck auf China im Osten aus. Die beiden haben also eine gemeinsame Basis gefunden und sind eine Entente eingegangen – kein Bündnis, eine Entente ist eine begrenzte Partnerschaft.
Die Chinesen sind also heute selbstbewusster als früher; bemerkenswert war, wie lange sie passiv waren. Sie verteidigen ihre Interessen, einschließlich ihrer Interessen an bestimmten Auslegungen des Völkerrechts, die mit der UN-Charta übereinstimmen und mit der Souveränität zu tun haben. Das war die Grundlage ihrer Position zu Syrien, dass kein Land das Recht hat, in das Gebiet eines anderen Landes einzumarschieren und zu versuchen, das Regime eines anderen Landes zu stürzen, egal wie sehr es das an der Macht befindliche Regime auch ablehnen mag. Das Gleiche gilt für Libyen.
Und China ist gegen die Annexion von Gebieten; es hat weder die Abtrennung des Kosovo durch die NATO noch die Nutzung dieses Präzedenzfalls durch Russland für die Annexion der Krim von der Ukraine an Russland gebilligt. Man kann mit China zusammenarbeiten, aber die Chinesen haben ihre eigenen Interessen und ihre eigenen Prinzipien. Und sie sind jetzt viel weniger zurückhaltend, wenn es darum geht, diese Grundsätze zu verteidigen und durchzusetzen.
AARON MATÉ: Herr Botschafter Chas Freeman, ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie uns so viel Zeit geschenkt haben, und freue mich darauf, bald wieder mit Ihnen über diese Themen sprechen zu können.
CHAS FREEMAN: Sehr gern.
Autor: Aaron Maté, ein Journalist und Produzent. Er moderiert Pushback mit Aaron Maté auf The Grayzone. 2019 wurde Maté für seine Berichterstattung über Russiagate im Magazin The Nation mit dem Izzy Award (benannt nach I.F. Stone) für herausragende Leistungen in unabhängigen Medien ausgezeichnet. Zuvor war er Moderator/Produzent für The Real News und Democracy Now!.
(Quelle: https://thegrayzone.com/2020/12/25/veteran-diplomat-us-confronts-china-to-protect-supremacy-not-security/)