Das Potenzial der BRICS ist gewaltig

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Der gemeinsame Wunsch nach Frieden, Sicherheit und Entwicklung war das Leitmotiv des 16. BRICS-Gipfels, der am 24. Oktober in Russland zu Ende ging. Vertreter aus 36 Staaten, darunter 24 Staats- und Regierungschefs, 6 internationale Organisationen und über 5200 Mitglieder offizieller Delegationen nahmen an dem historischen Gipfeltreffen in der russischen Stadt Kazan teil. Keines der G7-Länder war präsent. Stattdessen zog der BRICS-Gipfel vor allem Vertreter des globalen Südens an und wurde damit zu einem deutlichen Sprachrohr für die Ambitionen vieler Schwellen- und Entwicklungsländer. Erstmals nahmen neben den fünf etablierten auch die fünf neuen Mitglieder am Gipfel teil. Zudem wurde die Aufnahme von 13 weiteren Partnerländern beschlossen. Insgesamt repräsentieren die BRICS-Staaten damit 4,6 Milliarden Menschen oder 57 Prozent der Weltbevölkerung. Damit stellen sie zweifellos die Mehrheit der Weltbevölkerung. 

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping bezeichnete die BRICS-Erweiterung als „einen großen Meilenstein in der Geschichte und ein bahnbrechendes Ereignis in der Entwicklung der internationalen Lage“. Wir stünden vor historischen Entscheidungen, die unser aller Zukunft beeinflussen würden, so Xi. Das Thema Sicherheit spielte in der Rede des chinesischen Staatspräsidenten eine zentrale Rolle. Die BRICS sollten die gemeinsame Sicherheit verteidigen und sich auf eine Vision von umfassender, kooperativer und nachhaltiger Sicherheit einigen, um letztendlich „universelle Sicherheit“ zu erreichen. Das bilaterale Treffen zwischen Xi Jinping und Narendra Modi am Rande des BRICS-Gipfels zur Beilegung des Grenzkonflikts leistete hierzu einen entscheidenden Beitrag. Modi schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern seien „wichtig für die Menschen in unseren Ländern sowie für den regionalen und globalen Frieden und die Stabilität“. 

Auch andere Konflikte werden zunehmend im Rahmen des BRICS-Prozesses gelöst. Dazu gehören die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, die nun beide BRICS-Mitglieder sind, und der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien. Mit Blick auf die bestehenden gefährlichen Konfliktherde in der Ukraine und im Nahen Osten sprachen sich fast alle Anwesenden für rasche Waffenstillstandslösungen und einen nachhaltigen Friedensdialog aus. 

Die Vision der universellen Sicherheit schließt aber genauso die Ernährungs- und Energiesicherheit mit ein. Es geht darum, die Versorgung von Nahrungsmitteln und wichtigen landwirtschaftlichen Produkten zu gewährleisten und die Auswirkungen von erzwungenen Handelsbeschränkungen zu reduzieren. Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Einrichtung einer Getreidehandelsplattform vorgeschlagen, um Sanktionen und Preisspekulationen entgegenzuwirken. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit zwischen den großen Energieproduzenten und -verbrauchern ausgebaut werden. Dabei wird auf eine effiziente Nutzung aller Energieträger unter Beachtung des Prinzips der Technologieneutralität hingearbeitet. Das bedeutet, dass sowohl fossile Energieträger als auch erneuerbare Energien einschließlich der Kernenergie ausgebaut werden. 

Da ein Großteil des globalen Wachstums auf absehbare Zeit im Globalen Süden und in den BRICS-Ländern stattfinden wird, schlug der russische Präsident als Gastgeber der rotierenden BRICS-Präsidentschaft die Schaffung einer neuen BRICS-Investitionsplattform vor, die auch von allen Teilnehmern enthusiastisch begrüßt wurde. Sie soll ein „mächtiges Instrument zur Unterstützung der nationalen Wirtschaften“ sein und finanzielle Ressourcen für den Globalen Süden und Osten bereitstellen. Denn fast alle Gipfelteilnehmer beklagten, dass die internationalen Finanzströme extrem ungleich verteilt seien. Der brasilianische Präsident Lula da Silva, der per Videoschaltung an der Konferenz teilnahm, sprach davon, dass die Logik der ungerechten Bevorteilung der reichen Länder nun endlich durch die BRICS durchbrochen werde. Es brauche alternative Zahlungsmethoden für Kapitaltransaktionen zwischen den Ländern und auch die Verwendung nationaler Währungen müsse ausgeweitet werden, so Lula. Auch Xi Jinping sagte, dass „die aktuellen Entwicklungen eine Reform der internationalen Finanzarchitektur noch dringender machen“. 

Wie diese neue faire Finanzarchitektur aussehen soll, ist eines der am meisten diskutierten Themen im Rahmen des BRICS-Prozesses. Eine unabhängige grenzüberschreitende Handelsinfrastruktur, die Möglichkeit der Verknüpfung der Finanzmärkte zwischen den BRICS-Ländern, schnelle und sichere Zahlungssysteme etc. bildeten den Kern dieser Diskussion. Schon im Vorfeld, beim Treffen der BRICS-Finanzminister und ihrer Expertenberater, waren die Erwartungen hoch. So war von einer neuen Reservewährung der BRICS die Rede, die den Dollar mehr und mehr ablösen soll. Denn die BRICS-Länder seien “zutiefst besorgt”, wie es in ihrer Erklärung von Kazan heißt, “über die störende Wirkung unrechtmäßiger einseitiger Zwangsmaßnahmen, einschließlich illegaler Sanktionen, auf die Weltwirtschaft, den Welthandel und die nachhaltigen Entwicklungsziele”. Dies wird vor allem den USA und ihrer Kontrolle über den Dollar angelastet. Auch der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed betonte die Ungerechtigkeit des globalen Finanzsystems und die daraus resultierende wachsende Ungerechtigkeit. Der ägyptische Präsident Al-Sisi sagte, die Entwicklungsländer bräuchten einen besseren Zugang zu Finanzmitteln, um Entwicklungsprojekte in verschiedenen Sektoren durchführen zu können. 

Besonders hervorzuheben sind die Bemühungen des chinesischen Staatspräsidenten, die BRICS und damit die Mehrheit der Weltbevölkerung an einer qualitativ hochwertigen Entwicklung teilhaben zu lassen. Zu diesem Zweck hat er ein China-BRICS Zentrum für die Entwicklung und Zusammenarbeit im Bereich der Digitalwirtschaft gegründet. Außerdem würden ein China-BRICS Zentrum für die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Sonderwirtschaftszonen und ein Zentrum für BRICS-Industriekompetenzen eingerichtet. Die Gipfelteilnehmer riefen zudem dazu auf, das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien zu nutzen, um die Kluft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu überbrücken und so sozioökonomisches Wachstum und Entwicklung zu fördern. Außerdem soll eine gemeinsame Logistikplattform geschaffen werden, um die Bedingungen für den Warentransport zu verbessern. 

Fazit: Unabhängig davon, wie westliche Medien und Meinungsmacher diesen historischen Auftritt der Weltmehrheit auf dem 16. BRICS-Gipfel bewerten, ist der Übergang von einer ungerechten unipolaren Weltordnung, die zu massiven Konflikten und Armut geführt hat, zu einer multipolaren Welt, die die Vision und die Instrumente für eine gerechte Verteilung von Investitionen, Technologien und Wohlstand schafft, nunmehr sichtbar vollzogen. Die BRICS-Länder und ihre 13 Partnerstaaten sind das neue selbstbewusste Gesicht für die Interessen der globalen Staatenfamilie – für das, was der chinesische Staatsräsident auf dem Gipfel die harmonische Koexistenz aller Zivilisationen nannte. 

Das Potenzial dieser neuen Weltordnung ist gewaltig. Es liegt nun an den führenden Politikern des Westens, darauf angemessen zu reagieren, also Wege des Dialogs und der Kooperation zu finden. Denn wer in Washington, London, Brüssel und anderen Vertretungen der bisherigen Hegemonialmächte feindselig auf das BRICS-Phänomen reagiert, riskiert einen womöglich globalen Abstieg. Zumindest aber würde sich der Westen so weit ins Abseits manövrieren, dass seine Rolle bei der Gestaltung der Welt bald in der Bedeutungslosigkeit versinken würde. Der 16. BRICS-Gipfel, die Beiträge seiner alten und neuen Mitglieder, aber auch die Teilnahme von Ländern wie Kuba, Venezuela, Nigeria, Indonesien, Vietnam, Laos, Belarus, Kasachstan und vielen anderen haben einen historischen Prozess in Gang gesetzt, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Dies ist eine Chance und eine optimistische Perspektive für die Zukunft der Menschheit – den Westen eingeschlossen. 

*Stephan Ossenkopp ist Senior Researcher am Schiller Institute Berlin und Senior Copy-Editor am China Institute of International Studies in Beijng. 

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