Kürzlich kündigte ein Vertreter der aserbaidschanischen Eisenbahn an, dass eine Güterbahnstrecke im Osten Georgiens bald vollständig ausgebaut sein wird. Warum ist das wichtig? Die Bahnstrecke ist Teil der Güterverbindung zwischen Aserbaidschan, Georgien und der Türkei, der Baku-Tiflis-Kars-Bahn, auch BTK genannt. Die BTK wiederum ist ein entscheidendes Puzzlestück im so genannten Mittleren Korridor, der Güterverbindung zwischen Europa und China mit weitreichenden Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der Regionen Zentralasien und Westasien.

Der Mittlere Korridor ist ein weiterer Zweig der Neuen Seidenstraße, dem größten Infrastrukturvorhaben der Welt. Im Jahr 2013 von China ins Leben gerufen, haben bisher mehr als 140 Länder und Dutzende internationale Organisationen Kooperationsabkommen oder Unterstützungserklärungen unterzeichnet. Seit einigen Jahren gewinnt auch der mittlere Korridor an Bedeutung, da viele Logistik- und Transportunternehmen die nördliche Route über russisches Territorium aus Angst vor den westlichen Sanktionen gegen Russland meiden.

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Der mittlere Korridor ist jedoch bei weitem kein gleichwertiger Ersatz oder eine Ausweichmöglichkeit, wenn die Nordroute auf Probleme stößt. Hindernisse müssen nicht immer Sanktionen sein, es können auch die in letzter Zeit dramatisch gestiegenen Frachtraten für Standardcontainer auf dem Seeweg sein. Die Transportkapazitäten des Mittleren Korridors müssen allerdings noch ausgebaut werden. Das Megaprojekt wird in erster Linie als gigantisches Investitionsvorhaben gesehen, das die Konnektivität, das Handelsvolumen, die Produktionskapazitäten, die Infrastruktur und den Technologieeinsatz der regionalen Volkswirtschaften von der Türkei über den Kaukasus bis nach Aserbaidschan und Zentralasien ankurbeln soll.

Ende letzten Jahres sorgte die Weltbank mit der Veröffentlichung ihres Berichts „Middle Trade and Transport Corridor“ für einiges an Aufmerksamkeit. Die Modelle der Weltbank prognostizieren eine Verdreifachung des Frachtvolumens und eine Halbierung der Transitzeit auf dem Mittleren Korridor bis 2030. Der Korridor verbindet China über Kasachstan, überquert das Kaspische Meer vom Hafen Aktau in Kasachstan zum Hafen Baku in Aserbaidschan und nimmt dann die eingangs erwähnte Route Baku-Tiflis durch Georgien nach Kars in der Osttürkei. Von dort kann die Fracht durch die Türkei unter dem Bosporustunnel auf europäisches Territorium gelangen.

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Laut der Weltbankstudie wird der Handel zwischen Europa und Kasachstan sowie zwischen Europa und China den größten Anteil ausmachen. Allerdings liegt das Volumen nur im unteren einstelligen Bereich des Gesamtvolumens zwischen Europa und China. Typische Güter sind Düngemittel, Metalle, Maschinen, Chemikalien und andere Produkte mit hoher Wertschöpfung. Neue Infrastrukturinvestitionen werden die Importe und Exporte der beteiligten Länder diversifizieren und potenzielle neue Märkte im Nahen Osten, Nordafrika, Südasien und Südostasien erschließen, so die Prognose.

Die eingangs erwähnte Strecke durch Georgien hat eine Länge von 183 Kilometern und verläuft in gebirgigem Gelände auf fast zweieinhalbtausend Metern Höhe. 95 Prozent des Ausbaus sind abgeschlossen: neue Bahnhöfe, elektrische Anlagen, Signaltechnik, Kälteschutz. Erst im Januar 2024 hatten die Projektländer des mittleren Korridors in der türkischen Hauptstadt Ankara einen Jahresbericht vorgelegt. 2023 sei das Frachtaufkommen entlang der transkaspischen Route im Vergleich zum Vorjahr um 86 Prozent gestiegen. Verkehrsministerien und Unternehmen aus 11 Ländern zeigen Interesse.

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Auch China spielt in der Region eine immer wichtigere Rolle. Die Aserbaidschanische Eisenbahn meldete einen Anstieg des Schienengüterverkehrs zwischen China und Aserbaidschan um fast 50% im Jahr 2023. Der Handel zwischen den beiden Ländern ist stark expandiert. Der Mittlere Korridor spielt dabei eine immer wichtigere Rolle. Ende Oktober 2023 haben Aserbaidschan, Georgien und Kasachstan ihr erstes Joint Venture für den Mittleren Korridor gegründet. Auch österreichische Unternehmen bieten nun Schienengüterverkehr über diese Verbindung nach Zentralasien an.

Natürlich gibt es nach wie vor Engpässe. Dazu gehören zu wenige Frachtschiffe über das Kaspische Meer, wenig entwickelte Verbindungen zwischen Häfen und Güterbahnhöfen, Reibungsverluste bei den Transportdaten etc. In den nächsten 10 Jahren, so die Weltbank, sind noch große Investitionssummen erforderlich. Die Projekte sind schon identifiziert. Eine Roadmap gibt es bereits seit Ende 2022. In einer Erklärung vom 15. März dieses Jahres haben die Außenminister Aserbaidschans, Georgiens und der Türkei die Schlüsselrolle der Baku-Tiflis-Kars-Eisenbahn und des Mamaray-Projekts, wie der Tunnel unter dem Bosporus genannt wird, als Teil der Eisernen Seidenstraße nochmals bekräftigt. So will man einen wettbewerbsfähigen Transport zwischen Asien und Europa gewährleisten.

Sicherlich kann man einwenden, dass der weitaus größte Teil des weltweiten Güterverkehrs nach wie vor über große Containerschiffe abgewickelt wird. Dies betrifft natürlich den Handel zwischen China und den USA, aber auch zwischen China und Europa. Der Schlüssel zum Verständnis des Mittleren Korridors wie der Neuen Seidenstraße insgesamt liegt aber nicht in der buchhalterischen Sicht auf den möglichst kostengünstigen Transport von Gütern zwischen Produzenten und Konsumenten. Im Mittelpunkt steht der Entwicklungsgedanke. Die Verkehrsinfrastruktur wird zum Grundgerüst für weitere Entwicklungsschritte: Industrie- und Logistikzentren, Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, Energie- und Wasserprojekte.

Sie bilden die Basis und den Kern eines produktiven eurasischen Wirtschaftsnetzwerks. Menschen werden durch regional entstehende Wertschöpfung aus der Armut befreit. Es entstehen Bildungschancen, bessere Gesundheitssysteme und die Möglichkeit zur Wiederbelebung lokaler Kulturen. Wie auf der alten Seidenstraße werden auf der neuen Seidenstraße nicht nur Waren, sondern auch Ideen transportiert, Zivilisationen treten in Dialog und pflegen einen friedlichen Austausch.

Quelle&Links:

https://openknowledge.worldbank.org/server/api/core/bitstreams/7e6a216e-eb56-4783-ba1b-b7621abddcd9/content

https://www.fpri.org/article/2023/02/the-middle-corridor-through-central-asia-trade-and-influence-ambitions/