Ein Interview der LHCH Mit Frank Schwalba-Hoth.

China und Europa beschäftigt schon seit langem die Frage danach, ob es einen Weg gibt, umweltverantwortlich und zukunftsorientiert zu handeln und dabei gleichzeitig weiter zu produzieren und zu konsumieren. Fakt ist, dass die bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse hierzu nicht in der Lage sind. Europa und China arbeiten daher parallel an einem Prinzip für die Kreislaufwirtschaft (Circular Econmy), das einerseits Müll vermeidet und andererseits das Recycling von Wertstoffen fördert.

Im Folgenden lesen Sie das Interview der LHCH mit Frank Schwalba-Hoth (FSH), dem Mitbegründer der deutschen Grünen und nicht-exekutiver Vizepräsident der World Green Design Organization, einer chinesischen Initiative für Kreislaufwirtschaft, deren Jahreskonferenz er in Brüssel organisiert.

LHCH: Vielen Dank Herr Schwalba-Hoth, dass Sie heute bei uns sind. Ich möchte Sie unseren Lesern zunächst kurz vorstellen. Sie waren nicht nur 1980 einer der Gründer der Partei Die Grünen, der ersten institutionalisierten Umweltpartei in Europa, sondern auch einer der ersten Abgeordneten dieser Partei in Deutschland und im Europäischen Parlament. Nach Ihrem Mandat blieben Sie in Belgien, um bei Greenpeace zu arbeiten und widmeten sich schließlich der Organisation von Win-Win-Treffen, Coachings, Konferenzen und Veranstaltungen auf internationaler Ebene.

FSH: Vielen Dank, dass ich heute mit Ihnen eine Tasse chinesischen Tee trinken darf.

LHCH: Bevor Sie uns von der World Green Design Organization (WGDO) erzählen, könnten Sie uns bitte zuerst Ihre Form des ökologischen Denkens darstellen?

FSH: Heutzutage erscheint es allzu oft so, als würden wir unsere ganze Energie darauf richten, die Umwelt retten zu wollen und als würde unsere Politik nur dieses eine Ziel verfolgen. Aber dies ist nur einer der Aspekte unseres Handels. Von Anfang an suchen wir Antworten auf das gesamte Spektrum unserer heutigen Probleme: Landwirtschaft, Architektur, internationaler Handel, Wirtschaft, Chancengleichheit, Energie, Soziales, Verkehr. Dabei wird unser Handeln nicht durch die öffentliche Meinung, sondern durch unsere Werte bestimmt. Hierzu zählen Respekt und Würde am Ort des Wettbewerbs; Dezentralisierung statt übermäßig zentralisierter Strukturen; Demokratie statt autoritärer Strukturen; Diplomatie statt Kriege; Verantwortung statt Befehle; Respekt vor dem Leben statt der Todesstrafe; langfristig und nicht kurzfristig.

LHCH: Hat Ihre Partei „Die Grünen“ auch eine spezifische Vision von Makroökonomie?

FSH: Die Menschen haben die begrenzten Reichtümer unserer Erde schon sehr ausgebeutet: Betrachten wir nur den Zustand der Meere, des Bodens, der Artenvielfalt, der Wälder, der Umweltverschmutzung, des Klimawandels … Mit ein wenig Nachdenken kann jeder sehen, dass die derzeitige neoliberale Wirtschaft diese Erde direkt gegen die Wand fährt. Eine der Möglichkeiten, auf diese neuen Herausforderungen zu reagieren, besteht darin, sich verstärkt mit der Entwicklung der Kreislaufwirtschaft zu beschäftigen. Im Kern bedeutet diese, anspruchsvoller im Hinblick auf die qualitative und quantitative Verwaltung der bei der Produktion verwendeten Materialien zu werden. Es geht um die Umsetzung einer „Null-Abfall“-Philosophie und um die Nutzung erneuerbarer Energien anstelle alter umweltschädlicher Energien. Deutschland, ein hoch industrialisiertes Land, gewinnt bereits jetzt 40% seines Energiebedarfs aus Wind- und Sonnenenergie.

LHCH: Die WGDO ist eine chinesische Initiative. Wie genau treibt China die Entwicklung der Kreislaufwirtschaft voran?

FSH: China blickt auf eine sehr lange Geschichte zurück, in der es sich lange vor Europa von einer „ganzheitlichen“ Weltsicht hat leiten lassen. Die Natur wird als Ganzes gesehen, das es zu respektieren gilt, weil die Menschen ein Teil von ihr sind und wir alle von ihr abhängen. Dies ist auch für jeden Umweltschützer von grundlegender Bedeutung.

Damals, vor seiner Modernisierung in den 1950er Jahren, war China eine große Nation mit traditioneller Landwirtschaft, die Rücksicht auf die Bedürfnisse der Umwelt nahm. Es folgte die Industrialisierung, die enorme Mengen von Kohle verbrauchte und damit ihren Anteil an der Umweltverschmutzung leistete. Chinas Entwicklung zur „Fabrik der Welt“ hat diese Situation noch verschärft. Viele Menschen leiden unter den Folgen dieser Umweltzerstörung und inzwischen man hat entdeckt, dass es andere Energiequellen gibt, die noch effizienter sind, ohne teurer zu sein. China zeigt daher jetzt den festen Willen, die vor 40 Jahren ins Leben gerufene europäische Bewegung für eine grünere Welt zu übernehmen.

Europa geht im Umweltbereich über seine alten politischen Gräben hinaus. Wir sehen dies im Europäischen Parlament: Alle politischen Kräfte, ob von links oder rechts, sind sich über die Kreislaufwirtschaft einig. Wenn wir uns die globalen Klimakonferenzen anschauen, auf denen die EU und China Hand in Hand arbeiten, dann ist daraus heute eine globale Bewegung geworden, insbesondere wenn die USA sich diese am 3. November anschließen.

Zurück zur WGDO. Sie ist eine der chinesischen Strukturen, in der sich die CEOs großer Unternehmen mehrmals im Jahr in China und einmal, in der Regel im September, in Brüssel treffen. Es ist ein Raum des Dialogs zum Austausch von Technologien und Methoden, um eine grüne Wirtschaft zu optimieren; die innovativsten und erfolgreichsten dieser Unternehmen werden ausgezeichnet. In Brüssel treffen sich diese chinesischen CEOs dann mit ihren europäischen Kollegen.

LHCH: China wird die „Fabrik der Welt“ genannt, mit all den Umweltfolgen, die sich daraus ergeben. Es ist daher prädestiniert, zu einem wesentlichen Motor in der globalen Kreislaufwirtschaft zu werden, wenn es seine Führungsrolle fortsetzen will. Warum haben die CEOs der World Green Design Association Sie hier in Brüssel kontaktiert? War es Ihr Ruf als „König der Vernetzung“?

FSH: Ich bin seit 36 Jahren in Brüssel und habe immer im Zentrum der europäischen Angelegenheiten gestanden. Dank meiner zahlreichen Beziehungen habe ich chinesischen Insidern geholfen, das perfekte Büro hier in Brüssel zu eröffnen: ein mit Erdwärme beheiztes Meisterhaus von Prinz Laurent im europäischen Viertel. Ich nahm auch Kontakt zu den Europaabgeordneten auf, um die Organisation ihrer Jahreskonferenz hier in Brüssel zu sponsern. Aber für dieses Jahr werden wir leider, wegen Covid-19, darauf verzichten müssen.

LHCH: Seit einem Jahr leitet ein neues Team die Europäische Kommission, die Exekutive der EU. Was können wir im Rahmen der Kreislaufwirtschaft von ihr erwarten?

FSH: Unsere Struktur gibt dem Kommissionspräsidenten viel programmatische Macht. Mit der Wahl von Ursula von der Leyen zur Präsidentin ist eine neue Ära angebrochen. Das ist nicht „normal“, das ist außergewöhnlich. In Brüssel als Tochter eines der ersten hohen europäischen Beamten geboren, hat sie den europäischen Geist in ihren Adern. Mit einer zweisprachigen Erziehung (deutsch, französisch), einem halben Dutzend Kindern (und einem syrischen Flüchtlingskind, das sie in ihre Familie integriert hat), war sie die Ministerin, die am längsten im Kabinett von Angela Merkel diente. Sie besitzt eine ökologische, gesellschaftliche und soziale Vision, die ich bei keinem ihrer Vorgänger gesehen habe. Mit dieser Mischung aus klaren Ideen, Charme, Bescheidenheit, harter Arbeit, Intelligenz, Nachdenklichkeit und tiefem Verhandlungsgeschick wird sie als die Person in die europäische Geschichte eingehen, die es vermochte, „die EU zu grünen“. Und nachdem sie den Rest der Welt verführt hat, ihr zu folgen … Ich muss klarstellen: Sie ist nicht Mitglied der Grünen, sondern eines politischen Teils der Mitte-Rechts-Linie. Aber sie hat ihr Programm für die nächsten fünf Jahre dennoch „Green Deal“ genannt. Wenn man sich den Inhalt ansieht, ist dies eine dauerhafte und völlig neue Vision für die offizielle EU-Politik.

LHCH: Es ist das erste Mal, dass die Kommission von einer Frau und zudem von einer Deutschen geleitet wird. Ist es absehbar, dass der Einfluss von Frauen und Deutschland in der EU weiter zunehmen wird?

FSH: Der Einfluss der Frauen sicher: Die Präsidentin hat bereits darauf bestanden, dass die Hälfte ihrer Kommissare Frauen sind. Aber ein Einfluss aus Deutschland? Nein. Frau von Leyen ist eine „echte Europäerin“: Sie wird versuchen, den Interessen aller EU-Mitgliedsstaaten mit der gleichen Intensität zu dienen.

LHCH: Glauben Sie, dass dies ein Weg für den langen Kampf ist, den die 1. Europäische Umweltpartei führt?

FSH: Ja, sicher. Es ist ein Unterschied zwischen den Analysen und Forderungen der Zivilgesellschaft – Intellektuellen, NGOs, Umweltverbänden – einerseits und den mehr oder weniger gleichen Positionen, die der Präsident der wichtigsten europäischen Institution vertritt, andererseits. Ich bin voller Dankbarkeit, ja sogar Freude, dass unsere Ansichten nun letztlich direkt die Politik unseres Kontinents und indirekt auch die Politik anderer Kontinente leiten werden.

LHCH: Was ist mit den Grünen in Deutschland?

FSH: Auch das ist eine erfreuliche Geschichte. Um zu viel strukturelle Unordnung zu vermeiden, muss eine politische Partei die 5%-Marke überschreiten, um ins Parlament zu kommen. In den 80er Jahren ist uns dieser Schritt gelungen. Jahrzehntelang hatten wir eine Wählerschaft, die sich auf bis zu 10% eingependelt hat, etwas mehr unter Frauen, in den Großstädten und Universitätsstädten. In den letzten Jahren hat sich alles geändert … Bei den Europawahlen 2019 haben wir die Zahl der aktiven Mitglieder verdoppelt; wir wurden mit über 20% gewählt, und einige Umfragen geben uns sogar noch mehr. Wenn der Trend bis zur nächsten Bundestagswahl ähnlich bleibt, werden die Grünen in Berlin eine Schlüsselrolle spielen: In einer Mitte-Rechts-Koalition werden wir eine grüne Vizekanzlerin sehen … und in einer Mitte-Links-Koalition könnte es sogar eine Grüne als Merkels Nachfolgerin geben.

LHCH: Deutschland ist die wirtschaftliche Speerspitze Europas, ein großer Kohleverbraucher und gleichzeitig das Land, in dem die Grünen politisch an Bedeutung gewinnen. Alles in allem eine Situation, die in etwa mit China identisch ist, wenn wir von der WGDO sprechen?

FSH: Zu Beginn der Geschichte der Grünen waren wir eine Partei „gegen“, dann wurden wir mehr und mehr zu einer Partei „für“. Hinsichtlich der Entscheidung, diese oder jene Energie zu nutzen, sind wir FÜR erneuerbare Energien.

Bevor China Weltmeister in der Wind- und Solarenergie wurde, war Deutschland in diesen beiden Bereichen die Nummer eins. Diejenigen, die Deutschland kennen, wissen, dass mein Land weder das sonnigste noch das windigste ist. Deutschland hat daher gezeigt, dass man, um ein Weltmeister in Sonne und Wind zu werden, vor allem politischen Willen, Technologie und eine günstige Gesetzgebung braucht.

Diese Gesetze sind wichtig. In Deutschland sind die großen Stromkonzerne verpflichtet (!), erneuerbare Energie zu kaufen, auch wenn es sich um einen sehr kleinen Produzenten handelt, und sie sind auch verpflichtet, die Kabel zu finanzieren, um diese Einheiten mit dem Stromnetz zu verbinden. Mit einem solchen Gesetz vermeiden wir, was vor Jahren in der Inneren Mongolei geschah, wo ein großer Teil der Windkraftanlagen mangels Anschlusses an dieses Netz keinen Strom produzierte. Aber Ihre Frage betraf die Kohle. Natürlich war sie während des Wirtschaftsbooms nach dem Zweiten Weltkrieg der wichtigste Energiefaktor. Aber unser Wille und unsere internationalen Verpflichtungen zur Bekämpfung des Klimawandels haben uns dazu gedrängt, Schritte auszuhandeln, um in den kommenden Jahren den gesamten Kohlesektor aufzugeben und gleichzeitig – zugegebenermaßen kostspielige, aber für alle Seiten gewinnbringende – Lösungen für Regionen zu schaffen, in denen es sehr viele Kohlebergwerke gibt, die nun neue Perspektiven brauchen.

LHCH: Ist es für die Menschen denn erträglich, eine Windkraftanlage neben dem Haus zu haben – vor allem, wenn die größeren von 12 MW einen Rotor von 220 m und eine Spitzenhöhe von 260 m haben und eine Fläche von fast 40.000 m2 überstreichen?

FSH: Es stimmt, die Windturbinen sind immer größer und größer geworden. Für die Verteidiger der Kohle- und Atomkraft war es daher leicht, diese Art von Argumenten zu verwenden! Aber es ist eine Scheindebatte. Diese supergroßen Windturbinen findet man nur im Meer. Für Anlagen an Land gibt es überall Einschränkungen, um Belästigungen für die Bevölkerung und den Flugverkehr zu vermeiden.

Wenn Sie mit Landwirten sprechen, werden Sie oft hören, dass sie immer mehr Landeinheiten wollen, warum? Es gibt, vor allem in Norddeutschland, Bauern, die mit den Konzessionen der Firma, die die Windkraftanlagen installiert und betreibt, mehr Geld verdienen als mit ihrem Vieh und ihrer Ernte.

Und schließlich: Wir werden durch die Fähigkeit der Erde, die schädlichen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten zu absorbieren, verurteilt und sind daher gezwungen, unsere Lebensweise aus erneuerbaren Energien zu definieren.

In der EU (insbesondere in Deutschland) und in China haben wir verstanden, dass es notwendig ist, die Vorreiterrolle zu übernehmen, um diese entscheidenden Veränderungen des 21. Jahrhunderts voranzutreiben.

LHCH: Vielen Dank, Herr Schwalba-Hoth, für dieses nette Gespräch.