Gastkommentar von Ferdinand Dudenhöffer bei Handelsblatt: Eine Allianz gegen China gefährdet unsere Zukunft

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Reiht sich Berlin in ein Bündnis gegen Peking ein, kommen auf die deutsche Automobilindustrie dunkle Zeiten zu, warnt Ferdinand Dudenhöffer.

Ferdinand Dudenhöffer ist Direktor des CAR-Center Automotive Research, Duisburg. (Foto: Markus Kirchgessner/laif)

Im Juli wurde der chinesische Fahrdienstleister Didi an der New Yorker Börse gelistet. Fast zeitgleich haben chinesische Behörden Didi den Zugang zum App-Store gesperrt, der Dienstleister kann also keine Neukunden mehr gewinnen. Junge Chinesen, mit denen ich darüber gesprochen habe, verteidigen ausnahmslos die Sperre.

Sie verweisen auf die gigantischen Datenmengen des Unternehmens, das täglich in der Volksrepublik 40 Millionen Fahrten über seine App abwickelt. Die Notierung in New York, so die Argumentation, berge die Gefahr, dass das chinesische Mobilitätssystem für die USA bis in kleinste Details durchschaubar werde.

Meine Gesprächspartner leben nicht in China und wissen, dass ich ihre Einschätzungen nur anonymisiert wiedergeben würde. Das verdeutlicht umso mehr, wie sehr sie von Chinas Politik überzeugt sind. Ihren Stolz auf die bisherigen Errungenschaften der Kommunistischen Partei (KPCh) verbinden sie mit der Zuversicht, dies werde in Zukunft nicht anders sein.

Die KPCh betrachtet technologische Innovationen als strategischen Imperativ, wie auch der aktuelle Fünfjahresplan zeigt. So sollen im Jahr 2025 gut 56 Prozent der Chinesen das schnelle mobile Internet 5G nutzen. Künstliche Intelligenz, Quantencomputer, Halbleiter, Biotechnologie, Weltraum- und Tiefseeforschung – all das sind Schwerpunkte des Plans. Das Sozialprodukt soll bis 2035 auf 30 Billionen Dollar verdoppelt werden.

Chengdu Automesse 2019

Größter Binnenmarkt, schnellstes Wirtschaftswachstum, größte Technologie-Offenheit und Freude am wirtschaftlichen Erfolg – sämtliche Indikatoren sprechen dafür, dass es weiter steil nach oben geht. Durch die gewaltig wachsenden Vermögen der Chinesen hat die Hongkonger Börse das Potenzial, in nicht allzu langer Zeit zum größten Börsenplatz der Welt aufzusteigen. Auch deshalb zeigt Peking wenig Sympathie für US-Notierungen. Kann eine Allianz gegen China vor diesem Hintergrund noch sinnvoll sein?

Beim Abschiedsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Washington stand im Gespräch mit US-Präsident Joe Biden China weit oben auf der Agenda. Die Volksrepublik ist für die Amerikaner, egal ob Demokraten oder Republikaner, Feind Nummer eins. Man verweist gerne auf die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong, die Unterdrückung der Uiguren oder Chinas zeitweiliges Säbelrasseln gegen das „abtrünnige“ Taiwan.

Plädoyer gegen den Export von Werten

Doch ist es überhaupt möglich, auf einem Staatsterritorium – und dazu zählt Peking nun einmal Hongkong und Taiwan – Bürger mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten auszustatten? Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt jedenfalls hat früh die enorme Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft erkannt.

Schon als Verteidigungsminister setzte er sich für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking ein, was 1972 dann auch geschah. Auf die Frage, ob es nicht richtig sei, die viel zitierten westlichen Werte in andere Regionen zu exportieren, antwortete Schmidt: „Es gibt Werte, an denen wir absolut festhalten sollten, aber ich bin absolut nicht der Meinung, dass wir diese Werte anderen Leuten beizubringen haben.“

Tatsache ist: China lebte lange Zeit in bitterer Armut, heute aber können immer mehr Chinesen ihren Wohlstand genießen – einen Wohlstand, der auf der Politik der KPCh beruht. Peking zeigt auch weltweit Verantwortung. „Unser Ziel ist es, den Höhepunkt der CO2-Emissionen vor 2030 zu erreichen und vor 2060 kohlenstoffneutral zu werden“, verkündete Staats- und Parteichef Xi Jinping im September 2020. Damals regierte in den USA noch der Klimaleugner Donald Trump.

China will den Verbrauch nichtfossiler Brennstoffe bis zum Jahr 2025 auf 20 Prozent steigern. Heute sind es 15 Prozent. Im Übrigen gilt in der Volksrepublik das Prinzip, große Gruppen auch auf Kosten individueller Rechte zu schützen. Das hat die Pandemie-Bekämpfung gezeigt. Helmut Schmidt kannte Covid nicht, aber er kannte das Prinzip – und hat es respektiert.

Das Auto der Zukunft entsteht in China

Aller Voraussicht nach würde Deutschland als Mitglied einer Allianz gegen China seine eigene wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit aufs Spiel setzen, was für Schlüsselindustrien wie die Autobranche gilt. Der VW-Konzern und Mercedes verkaufen heute fast 40 Prozent ihrer Fahrzeuge in China, BMW mehr als 35 Prozent.

Shanghai Automesse 2021, Tochtermarke TANK von Changcheng Motor

Im Vor-Corona-Jahr 2019 erzielte die deutsche Autoindustrie einen weltweiten Umsatz von 435 Milliarden Euro. Der Bundeshaushalt betrug damals 356 Milliarden Euro. Da unsere Autobauer in China hochwertige Fahrzeuge verkaufen, dürfte sich allein der China-Umsatz auf gut 55 Prozent des gesamten Bundesetats belaufen haben.

Darüber hinaus: Das Auto der Zukunft entsteht in China. Zum einen, weil dort die großen Tech-Konzerne wie Baidu, Huawei, Tencent sitzen und China das Eldorado für autonomes Fahren ist. Zum anderen wegen der immensen Zahl Tech-affiner Kunden. So hat Huawei angekündigt, bis 2025 ein vollständig autonomes Auto in China auf die Straße zu bringen. Für den Konzern ist das eine „disruptive technology“, die die klassische Autoindustrie ebenso wie das batterie-elektrische Auto aus den Angeln heben wird.

Das chinesisches Start-up Pony.ai hat im Frühjahr den großflächigen Betrieb von autonomen Lkw angekündigt. Die Elf-Millionen-Stadt Guangzhou begleitet das Vorhaben. Bereits im vergangenen Jahr erhielt Pony.ai von der Provinz Guangdong, die 1,5-mal so viele Einwohner hat wie Deutschland, die erste Lizenz für Straßentests mit autonomen Lkw. Ende 2020 hatte Schanghai 243 Straßen mit insgesamt 560 Kilometern für Tests von intelligenten, vernetzten Fahrzeugen freigegeben. Beinahe ganz China wetteifert um das intelligente Auto.

Autonomes Fahren, Zusammenarbeit zwischen Huawei und Porsche

Sanktionen und Feindbilder haben noch nie Probleme gelöst

Chinesen sind verrückt nach digitalen Spielereien, großen Screens, autonomen Fahrzeugen, kurz: nach dem Auto von morgen. Sie treiben die Technologieentwicklung entscheidend voran. In Europa und den USA hingegen gelten handgenähte Sitzoberflächen immer noch als Glanzpunkte der Exklusivität. In China sitzen die Early Adopters. Wer keine chinesischen Kunden hat, kann die für das autonome Fahren notwendigen riesigen Investitionen nicht amortisieren. Chinesische Autokäufer finanzieren die Zukunft dieser Schlüsselindustrie.

Wer als Mitglied einer westlichen Allianz gegen China um rund 40 Prozent seiner Produktion beraubt würde, käme in eine gefährliche Lage. Deutliche Kostennachteile würden die Produkte der deutschen Autobauer zu teuer und unattraktiv machen. Dabei werden die Skalenvorteile durch China in Zukunft weiter steigen. Der Markt ist – anders als in den USA – nach wie vor ungesättigt und wird nach der Prognose des CAR-Center Automotive Research bis zum Jahr 2030 auf jährlich 31 Millionen Pkw-Verkäufe wachsen.

Wir brauchen eine Neubestimmung unserer China-Politik. Deutschlands Mitgliedschaft in einer Allianz gegen China liefe auf eine Art Selbstzerfleischung hinaus. Wir sollten uns also an Helmut Schmidts Erkenntnis orientieren, anderen Regionen nicht unsere Werte überzustülpen. Sanktionen und Feindbilder haben noch nie Probleme gelöst.

(Quelle: Gastkommentar von Ferdinand Dudenhöffer bei Handelsblatt: Eine Allianz gegen China gefährdet unsere Zukunft)