Am 7. und 8. Dezember 2022 fand in Duisburg der 6. European Silk Road Summit statt. Zwei Tage lang diskutierten rund 300 Fachleute aus rund 30 verschiedenen Ländern über die derzeitigen Herausforderungen und die möglichen Zukunftsperspektiven der Neuen Seidenstraße. Die verschiedenen Vorträge und Analysen spiegelten das Bangen und Hoffen wider, dass der bisherige Erfolg der Güterzugverbindungen auf dem eurasischen Kontinent trotz der vielschichtigen globalen Krisen erhalten und ausgebaut werden kann. 

Am 7. und 8. Dezember 2022 fand in Duisburg der 6. European Silk Road Summit statt.

Die Stadt Duisburg liegt inmitten der Rhein-Ruhr Metropolregion mit ihren über zehn Millionen Einwohnern und besitzt den größten Binnenhafen Europas, der als zentrales Drehkreuz des China-Europa-Bahnverkehrs fungiert. Hier traf 2011 erstmals ein Güterzug aus Chongqing nach 15 Tagen Reisezeit über die etwa 11.000 Kilometer lange Route durch Kasachstan ein. Im Jahr 2014 besuchte sogar der chinesische Staatspräsident Xi Jinping das Hafengelände, um einen der Güterzüge aus Chongqing feierlich zu empfangen.

Ort des Gipfeltreffens war Duisburgs stillgelegte Industriezone, wo noch bis in die 1980er Jahre Roheisen produziert wurde. „2022 war ein hartes Jahr für uns alle,“ sagt Moderator Nikos Papatolios gleich zu Beginn des Kongresses. Die Seidenstraße sei mit einer neuen Realität konfrontiert.

Widerstandsfähigkeit während der Pandemie

Auf der anderen Seite hat der trans-eurasische Güterverkehr in den rund zehn Jahren seines Bestehens eine unerwartet steile Entwicklung nach oben gemacht. Fuhren 2013 – das Jahr, in dem Xi Jinping die Seidenstraßen-Initiative („One Belt, One Road“) ins Leben rief – gerade mal 80 Züge zwischen Europa und China, waren es 2019 schon über 8000. In den Hauptjahren der Corona-Epidemie brachen diese Verkehre nicht zusammen, sondern verzeichneten im Gegenteil einen ungewöhnlichen Boom. 2020 fuhren fast 12,500 Züge über die Eurasische Landmasse, und 2021 erreichte man sogar die magische Marke von 15,000. „Die meisten haben dies nicht erwartet,“ erklärt Walczak, der auch Experte beim Polnischen Institut für Gütertransport ist. „Im Jahr 2020 wurden mit einer 50-prozentigen Zunahme der Gütervolumen alle Rekorde gebrochen.“

Für den Gastgeber der Veranstaltung, der Duisburger Hafen AG, sprach Vorstandsmitglied Carsten Hinne, der sich trotz aller Herausforderungen stets sachlich und optimistisch gibt. Gerade in den schwierigen Phasen der Covid-Lockdowns hätten die Verbindungen mit Duisburg ihre besondere Widerstandsfähigkeit bewiesen, wo es beim Schiffs- und Flugverkehr deutliche Einbrüche oder gar Stillstand gab. „Die Züge entlang der Neuen Seidenstraße haben sich seit 2012 Jahr um Jahr signifikant gesteigert. Sie haben ihren absoluten Höhepunkt gehabt während der Pandemiezeit 2020-21 mit fast 60 Zügen pro Woche“.

Gastgeber Carsten Hinne, Vorstandsmitglied der Duisburger Hafen AG, gibt sich trotz aller Herausforderungen stets sachlich und optimistisch.

Gastgeber Carsten Hinne, Vorstandsmitglied der Duisburger Hafen AG, gibt sich trotz aller Herausforderungen stets sachlich und optimistisch.

Derzeit, so Hinne, sei die Zahl der wöchentlich abgefertigten Züge zwar auf circa 30 abgesunken, aber Anteile am Gesamtvolumen habe der Duisburger Hafen nicht verloren. Wenn man die gesamten Krisenfaktoren herausnehme, seien wir eigentlich auf der gleichen Entwicklungslinie. „Das ist eine gute Story und zeigt, dass wir daran anknüpfen können und wollen.“

Auch der Generalkonsul Chinas in Düsseldorf, Du Chunguo, versicherte in seiner Rede, der Bedarf nach China-Europa-Konnektivität werde „in den kommenden Jahren hoch bleiben.“ Chinas Staatschef Xi Jinping habe in seiner Rede auf dem XX. Parteitag der kommunistischen Partei die Bedeutung der Belt & Road Initiative, wie die Neue Seidenstraßen offiziell heißt, als öffentliches Gut bekräftigt, so der Generalkonsul. Die chinesische Regierung sei entschlossen, die Koordination in den Feldern Politik, Kommunikation und Handel in den Ländern entlang der Seidenstraßen-Korridore zu verbessern und auf dem Weg der Öffnung weiter voranzuschreiten. Die durch Energiepreisanstieg, Lieferkettenprobleme, die Pandemie, und nicht zuletzt durch den geopolitischen Gegenwind erzeugte Krise müsse man in eine günstige Gelegenheit verwandeln, dem internationalen Handelssystem mehr Resilienz und Inklusion zu verleihen, sagte Du.

Du Chunguo, der chinesische Generalkonsul in Düsseldorf, ist zuversichtlich, dass der Bedarf nach China-Europa-Konnektivität in den kommenden Jahren hoch bleiben wird.

Auswirkungen in China

Eine Reihe von Bahnunternehmern in China erklärten per Videoschalte, ihre Kunden in Europa hätten wegen der Ukraine-Krise besondere Sicherheitsbedenken, was die Route über Russland angeht. Oder die Kunden wollten aus ethischen Gründen nicht mehr Güter über Russlands Territorium buchen, was zu starken Verlusten europäischer Kunden geführt habe.

Der Effekt davon ist, dass sich der Schwerpunkt des Verkehrsvolumens auf der Eurasischen Route dramatisch verlagert hat. Während vor dem Beginn des Ukraine-Krise etwa 70% der Güter über die Seidenstraßen-Korridore von China nach Europa transportiert wurden, und nur 30% nach Russland oder in die GUS-Staaten, sei es heute genau umgekehrt. Chinas Seidenstraßen-Züge liefern heute etwa 80% der Waren nach Russland und in die GUS-Staaten, und nur noch 20% nach Europa.

Die Strategieberaterin Ganyi Zhang konnte in ihrem Vortrag anhand von Datenauswertungen etwas konkreter aufschlüsseln, dass der Export von Maschinenprodukten aus China nach Europa beispielsweise erheblich abgenommen hat, während andererseits als Reaktion auf die hohen Energiepreise in Europa die Nachfrage nach chemischen Produkten aus China zugenommen habe. Produkte aus der Chemieindustrie verbrauchen in ihrer Herstellung naturgemäß hohe Mengen an Energie.

EU-China-Zug zwischen Stadt Weihai und Duisburg

Alternative Transportroute: Mittlerer Korridor

Angesichts der Unsicherheiten im Kontext der Ukraine-Krise widmeten sich einige der Vorträge der Möglichkeit, alternative Transportrouten zu entwickeln. Es dreht sich dabei in erster Linie um den sogenannten Mittleren Korridor, der von China unter Umgehung Russlands über die Türkei nach Europa führt.

Logistikexperte Kelvin Tang, der aus der chinesischen High-Tech Metropole Shenzhen angereist war, schilderte, dass viele europäische Unternehmen nach Transportlösungen suchen, die nicht über die Nordroute durch Russland führen. Obwohl sich der Markt für den Mittleren Korridor interessiere, so Tang, habe man noch mit Fragen der Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen. So sind die Transitzeiten mit 50-60 Tagen noch deutlich zu hoch, und die Volumina noch viel zu gering.

Der Mittlere Korridor verläuft von China über Kasachstan, überquert das Kaspische Meer per Schiff, um dann über Aserbaidschan, Georgien und die Türkei – oder über das Schwarze Meer und Rumänien – mündet schließlich in Osteuropa ein. Der Transport über das Kaspische Meer und das Schwarze Meer verlaufen allerdings noch nicht flüssig, und die Eisenbahn von Rumänien ins übrige Europa ist ebenfalls noch nicht gut genug ausgebaut. Tang kommt zu dem Ergebnis, dass der Mittlere Korridor nur durch einen von allen Staaten entlang der Strecke gemeinsam bewerkstelligten Ausbau zu einem funktionierenden System des eurasischen Gütertransports werden könne.

Engere Verflechtungen trotz Geopolitischer Verschiebungen

Mohammadbagher Forough, Research Fellow beim German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, bewertete die Zukunft der Neuen Seidenstraße vom Standpunkt der Entwicklungen des Welthandels. Trotz aller politischen Verlautbarungen „stechen die Handelsgeschäfte die Geopolitik aus.“ So habe der Handel zwischen China einerseits, und den USA, der EU, Indien, und Japan andererseits deutlich zugenommen. Forough hält deshalb das von den USA viel beschworene „Decoupling“, also das Entkoppeln der Handelsströme weg von China, hin zu den Verbündeten der USA, „für außerordentlich unrealistisch“. Das Freihandelsabkommen RCEP, dem sowohl China als auch westliche Staaten wie Australien angehörten, spreche ebenfalls für die weitere Verflechtung des globalen Handels.

Mohammadbagher Forough, Research Fellow beim GIGA, hält das von den USA viel beschworene „Decoupling“ für außerordentlich unrealistisch.

Auch der in der Politik und in den Medien mit großer Aufregung begleitete Einstieg eines Tochterunternehmens des chinesischen Seefrachtkonzerns COSCO bei einem hamburgischen HHLA-Hafenterminal kam beim Silk Road Summit zur Sprache. Mehrere Ministerien wollten diesen Einstieg damals verhindern, wurden jedoch von Bundeskanzler Olaf Scholz‘ Genehmigung übertrumpft. Inga Gurries von Port of Hamburg Marketing erklärte in dem Zusammenhang, es sei völlig normal, dass die größten Kunden auch in die Infrastruktur investieren, so wie es eben COSCO in Hamburg getan hat. Dies würden andere Konzerne wie Maersk auf gleiche Art und Weise tun. Der Hamburger Hafen ist ebenfalls ein Knotenpunkt für Güterzüge aus und nach China. Im Jahr 2021 beispielsweise wurden rund 160.000 Container auf der Schiene zwischen Hamburg und 25 Städten in China transportiert.

Hoffnung wächst

Die 300 Experten wählten aus ihren Reihen zum Abschluss des Duisburger Gipfeltreffens noch den DHL-Manager Thomas Kowitzki zum Silk Road Ambassador des Jahres für seinen „beständigen Einsatz für das Projekt der Neuen Seidenstraße“. Trotz aller Befürchtungen, Hürden und Krisen wollen sich die Teilnehmer ihre Hoffnungen auf eine positive Zukunft der Seidenstraßeninitiative nicht nehmen lassen.

Der Bahnmanager Uwe Leuschner bedauerte während einer Paneldiskussion mit Repräsentanten globaler Logistikunternehmen wie Maersk und DHL, dass die Europäer vor allem in den fast drei Jahren der Pandemie „viel weniger in China vor Ort präsent“ gewesen seien. „Die Videokonferenzen können die direkten Gespräche nicht ersetzen,“ so Leuschner. Man brauche nun trotz aller optimistischen Hoffnungen vieler Marktteilnehmer „mehr konkrete Schritte, gemeinsam attraktive Produkte zu kreieren.“

Auch Gastgeber Carsten Hinne von der Duisburger Hafen AG konstatierte im Gespräch, dass sich das politische Umfeld zwar zweifellos verändert habe. Dennoch halte man an den Güterverkehren nach China fest, „weil diese Verkehre zu dem Gesamtportfolio der Duisburg Gruppe gehören und weil die Märkte nicht nur in China, sondern zwischen Asien und Europa definitiv Wachstumsmärkte sind,“ die man von Duisburg aus auch weiter bedienen wolle. „Ich persönlich kann nur hoffen, dass sich die weltpolitische Lage so weit verändert, dass sich die Themen auch endlich wieder etwas differenzierter diskutieren lassen, nicht so schwarzweiß, wie es teilweise leider gemacht wird.“

Parallel zum tagenden European Silk Road Summit 2022 verkündete China am 7. Dezember einen neuen „Zehn-Punkte-Plan“ für umfangreiche Lockerungen seiner Covid-Politik. Man wird den Fokus auf das Wirtschaftswachstum legen. Diese neuen Maßnahmen werden sicherlich positive Auswirkungen auf den Austausch zwischen Europa und China haben und mehr direkte Gespräche sind zu erwarten. Die neue Seidenstraße ist „bereit für ein neues Kapitel“, so wie das Motto des diesjährigen Gipfeltreffens lautet.

*Stephan Ossenkopp ist Senior Researcher am Schiller Institute Berlin und Senior Copy-Editor am China Institute of International Studies Beijng.

(Quelle: german.chinatoday.com.cn)