Jürgen Kurz: Die Chinapolitik der Ampel ist schlecht für Deutschland, Europa und den Klimaschutz!

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Angesichts der Außenpolitik der Ampel und der völlig sachfremden Debatte, die dort um China geführt wird, mache ich mir ernsthaft Sorgen über den möglichen Schaden für Deutschland und habe dies in meinem beigefügten Beitrag dargestellt. Für mich ist unbegreiflich, wie gerade Regierungsvertreter meiner Partei die Rede von Xi Jinping komplett ignorieren und China lediglich an dem Thema Taiwan beurteilen und das auch noch auf falschen Informationen basierend.

Chinas KP hat vor kurzem ihren 20. Parteitag beendet. Aufmerksame Zuhörer erfahren, in welche Richtung sich China entwickelt und worauf man sich in Zukunft bei China einstellen kann.

Man kann festhalten: Die Führungsmannschaft der noch zweitgrößten (bald größten) Volkswirtschaft der Welt, die in den vergangenen 40 Jahren nach der Öffnungspolitik einen in der Menschheitsgeschichte beispiellosen Aufstieg zurückgelegt hat, vom Armenhaus in Asien zum Powerhaus der Weltwirtschaft, der zweitgrößte Handelspartner (nach Europa) des ehemaligen Exportweltmeisters Deutschland, trifft sich zu seinem alle 5 Jahre stattfindenden Parteitag, der für die Entwicklung Chinas von überragender Bedeutung ist.

Xi Jinping, Hassobjekt der westlichen China-Basher und der aktivistischen Anti-China-Medien, aber nicht „Alleinherrscher in China“, hat einen rund 2-stündigen, ausführlichen Bericht abgegeben, der auch in englischer Übersetzung verfügbar ist.

Was erfahren wir in unseren Medien davon? Nicht viel! Laut unserer Leitmedien hat sich der 6-tägige Parteitag mit Taiwan, Xi’s kolportiertem Allmachtsanspruch und dem alternden Hu Jintao befasst.

Das Einzige, was die 1,4 Mrd. Menschen in China offenbar bewegt und womit sie sich in den kommenden Jahren befassen, ist nach unseren Medien – Taiwan.

Kishore Mahbubani, Diplomat aus Singapur und geschätzter Kenner des China/USA-Verhältnisses, hat schon vor Jahren in seinem Buch „Has the West lost it?“ diese irrationale, alles ignorierende Weltsicht des Westens eloquent persifliert. Auch sein letztes Buch „Has China won?“ ist eine eindringliche Ermahnung an den Westen, die Entwicklung und Veränderungen, d.h den Aufbruch Asiens in die Zukunft, nicht zu verschlafen.

Auf dem asiatischen Kontinent leben ca. 4,5 Mrd. Menschen, also mehr als 50% der Weltbevölkerung. 2,8 Mrd. davon alleine in China und Indien. Was in diesen beiden Ländern passiert, hat heute massiven Einfluss auf unseren zukünftigen Wohlstand. Gute Gründe, sich besonders mit der Entwicklung des aktuell stärksten asiatischen Landes, China, das historisch immer in Asien den größten Einfluss hatte, genauer zu befassen.

China-Kompetenz gehört vermutlich heute mit zu den wichtigsten Kenntnissen in Politik und den sogenannten Qualitätsmedien. Chinakompetenz bedeutet nicht, bestehende Narrative zu multiplizieren, es bedeutet vielmehr, diese Narrative zu hinterfragen und eher zu verifizieren. Passiert das?

Nein! Unsere Medien berichten unisono gleich über Taiwan und das ohne Berücksichtigung der Fakten. Deutsche Leitmedien erwecken den Eindruck, Xi Jinping (in Person) will kommendes Wochenende Taiwan militärisch überfallen und heim ins Reich holen. Unterfüttert wird das Ganze mit einem angeblichen Zitat aus Xi’s Rede, in der er den Gebrauch von Gewalt in der Taiwan-Frage nicht ausschließt.

Die zentrale Aussage dieses Abschnittes, dass China auf keinen Fall eine gewaltsame Zusammenführung anstrebt, taucht in den gegenseitig voneinander abschreibenden deutschen Leitmedien nicht auf!

Wer aber in den vergangenen 20 Jahren chinesische Verlautbarungen gelesen hat, kann in der Taiwan-Frage nichts Neues erkennen, außer dass China mit dem Thema jetzt selbstbewusster umgeht.

Soweit zur China-Kompetenz und der objektiven, „umfassenden“ Berichterstattung über den 20. Parteitag der KPCh.

Die zweistündige Rede von Xi wäre es wert, in unseren Medien und vor allem auch in meiner Partei zur Kenntnis genommen und kritisch, qualifiziert bewertet zu werden.

Schafft man das nicht, kann man das nicht oder will man das nicht?

Xi beschreibt, wohin die chinesische Reise geht: Mehr Öffnung, mehr Kooperation, mehr Innovation, noch stärkere Unterstützung der ländlichen Regionen, mehr Klimaschutz, mehr internationale Kooperation, um das Gefälle zwischen Nord und Süd weiter zu verringern. Mehr demokratische Teilhabe und Selbstverwaltung auf lokaler Ebene, Erhalt chinesischer Kulturdenkmäler, mehr Tourismus in entlegenen Regionen, um die Einkommensmöglichkeiten auch abgelegener Regionen zu stabilisieren und unter anderem auch mehr Kontrolle der IT-Giganten im Land und auch sonst Zurückdrängen des Einflusses privater Konzerne in den sozialen Medien. Westliche Medien berichten: Taiwan … und Xi, der böse Diktator, unterdrückt sein Volk mit 1,4 Mrd. Menschen …

Fällt niemandem auf, wie absurd diese Vorwürfe sind? Warum sollen die Menschen sich wie Untertanen einem „bösen Diktator“ unterordnen, wenn sie in einem Land leben, dass

  • weltweit die meisten Patente anmeldet,
  • die meisten Super-Computer betreibt,
  • das uns zeigt, wie E-Mobilität geht, das die für den Klimaschutz extrem wichtige Batterie-Technologie weltweit anführt,
  • Armut erfolgreich bekämpft hat,
  • vor der Pandemie jährlich ca. 100 Mio. Menschen ins Ausland geschickt hat (sie sind alle freiwillig zurück nach China gekommen!),
  • das jährlich die meisten Windkraftwerke und Solarpaneele ans Netz bringt,
  • das elektrische Netz, das mit zunehmender Sonnenenergie intelligent gesteuert werden muss, mit KI managt,

Warum gibt es in China nicht den kollektiven zivilen Ungehorsam gegenüber diesem „teuflischen, machthungrigen“ Diktator?

Fragen wir mal ganz direkt: Haben wir und besonders viele Akteure meiner Partei vielleicht doch eine etwas realitätsferne Wahrnehmung von dem, was in China passiert?

Ich weiß, diese Frage ist eine Zumutung. Sofort kommt: Was ist mit Hongkong, was mit den armen Uiguren in Xinjiang? Du bist ein Holocaust-Leugner … so der breite Chor der Gutmenschen, unter anderem auf Twitter, die ganz sicher sind, dass jemandem, der sich nach 20 Jahren China-Erfahrung differenziert zu China äußert, Menschenrechte komplett egal sind.

Nein, mir sind Menschenrechte nicht egal und ich bin als geschichtlich gebildeter Mensch, der vor 42 Jahren aus Überzeugung DIE GRÜNEN mitgegründet hat, kein Holocaust-Leugner. Ich habe unsere Geschichte gelernt. Genau das verleitet mich dazu, mich heute wieder zu Wort zu melden, da ich den zentralen Unterschied zu China sehe.

Mir ist aber nicht gleichgültig, wie wir in Deutschland unsere Zukunft und unseren sozialen Frieden verspielen. Das in der Ampel projizierte Chinabild ist irrational und sollte Scholz in seiner Chinapolitik einknicken, dann verspielen wir die Zukunft des Standortes Deutschland mit allen daraus entstehenden sozialen Verwerfungen. Wer behauptet, Deutschland sei nicht auf eine gute Kooperation mit China angewiesen, lügt oder betreibt eine verdeckte Interessenpolitik.

China ist keine westliche Demokratie. Will es auch nicht sein. China ist ein sozialistisches Land mit der KPCh als führender Gruppierung, die heute rund 90 Millionen Mitglieder zählt und in die jede/r Chinese oder Chinesin aufgenommen werden und sich einbringen kann. In der KPCh werden die Menschen systematisch zu Führungspersonen herangebildet.

Was ist daran falsch?

Nur weil es anders als bei uns ist und viele meiner GRÜNEN Parteikollegen das System nicht kennen, geschweige denn verstehen, ist es noch lange nicht zu verdammen. Die Chinesen haben das Recht, sich ein eigenes Gesellschaftsmodell zu geben, das am besten nach vielen unruhigen Jahren zu ihnen passt. Und dass es passt, zeigen die Zahlen: Welches Land kann schon von sich behaupten, innerhalb von 30 Jahren sein BSP fast ums 50-Fache vergrößert und mehr als 700 Mio. aus der Armut geführt zu haben?

Das ist ein großer Beitrag zur UN-Menschenrechtskonvention, der bei uns noch nicht mal beiläufig erwähnt wird, obwohl unsere Bilanz mit der zunehmenden, noch immer nicht eingedämmten Armut, oder der europäischen Flüchtlingspolitik, bei weitem nicht besser ist!

Ist so ein Ergebnis mit schlechter Governance oder Unterdrückung der Menschen zu erreichen? Nein, natürlich nicht, so etwas gelingt nur, wenn Regierung und Menschen kooperieren.

Gerade wir GRÜNEN, die wir immer auf unsere multikulturelle, internationale Toleranz Wert gelegt haben, scheinen im Umgang mit China Multikulti komplett zu vergessen. Unsere „wertebasierte“ Außenpolitik definiert, unter dem Deckmantel universeller Menschenrechte, Multikulti aus Sicht des westlich geprägten Gut-Menschen komplett neu, aber ganz sicher ohne die chinesische Kultur.

Anstatt unvoreingenommen zu analysieren, was Xi Jinping in seiner 2-stündigen Rede dem Parteitag und der Weltöffentlichkeit mitgeteilt hat, befassen wir uns hauptsächlich voller Entrüstung mit einem kurzen Abschnitt zu Taiwan, in dem Xi klar zum Ausdruck bringt, dass China sich weiter für eine friedliche Klärung der Taiwan-Frage einsetzen will, aber im Einklang mit dem Völkerrecht darauf besteht, dass es sich um eine chinesische Frage handelt.

Warum übersehen wir all die positiven Vorhaben zur Stadtentwicklung, zum Ausbau der Infrastruktur, zum Naturhaushalt, zum Arten- und Klimaschutz usw., die ähnlich in unseren früheren Wahlprogrammen zu finden waren und jetzt in dem größten Land der Welt auf der Agenda stehen?

Mit dieser herablassenden Konfliktstrategie verpasst die Ampel und hier ganz besonders meine Partei die historisch wichtige Chance, sich gemeinsam mit China der Klimakastrophe entgegenzustellen. Kooperation ist das Gebot der Zeit, nicht Konflikt-Eskalation !

Es ist absurd zu glauben, dass man mit der aktuellen grünen Konflikt- und Belehrungspolitik mehr erreichen und in China verändern kann als mit einem zurückhaltenden, kooperativen Ansatz. Sowohl für den Klimaschutz als auch für die Menschenrechte, wenn sie einem wichtig sind. Die deutsche Wirtschaft ist nicht zufällig so stark in China vertreten. Diese Stärke kommt sicherlich nicht aus einer permanenten Konfliktposition.

Warum lernt die neue Generation in meiner Partei das nicht?

(Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=90311)

Zur Person des Autors: Jürgen Kurz war rund 20 Jahre lang für Bündnis 90/DIE GRÜNEN in RLP im Kreisverband Mayen-Koblenz im Vorstand und in Kommunalparlamenten in führender Funktion tätig und in den 90er Jahren auch Mitglied im Landesvorstand in Rheinland–Pfalz. 2003 ging er für seine Firma als General Manager nach Shanghai und hat dort die Zweigstelle gegründet, die heute das weltweit größte Tochterunternehmen seiner Firma ist. Er gehört nach seiner Einschätzung zu den wenigen Ausländern in China, die alle Provinzen in China mindestens einmal bereist haben. Besondere Verbindungen hat er in die berüchtigte, entlegene Provinz Xinjiang, da er seit 2011 mit einer Han-Chinesin aus der XUAR (Xinjiang Uigur Autonomes Region) verheiratet ist und diese Provinz vielfach bereist hat. 2021 reiste Kurz das letzte Mal nach Xinjiang. Er hat von dieser Reise auf seiner Homepage juergenk.de einen umfangreichen Reisebericht hinterlegt.