Kernenergie stärken, Emissionen senken: Japans neue politische Normalität

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Fünfzig Jahre nach dem Vierten Nahostkrieg, der eine weltweite Ölkrise auslöste, sind die Spannungen im israelisch-palästinensischen Konflikt am 7. Oktober 2023 wieder aufgeflammt. Obwohl Japan seine Energiequellen diversifiziert hat, führten die jüngsten Unruhen im Nahen Osten zu Diskussionen über eine Erhöhung des Anteils der Kernenergie in Japan.

Das japanische Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) schlug vor, den Anteil der Kernenergie in Japan von 7 % im Jahr 2021 auf 20 bis 22 % im Jahr 2030 zu erhöhen, was in Übereinstimmung mit den in der Vergangenheit verfolgten Zielen stünde.

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 brachte die japanischen Kernenergiepläne kurzzeitig zum Stillstand. Die aktuellen Spannungen im Nahen Osten haben Japan jedoch dazu veranlasst, den Ausbau der Kernenergie neu zu bewerten und voranzutreiben.

Aufarbeitung des TEPCO-Atomunfalls: Ein 300-Jahre-Zeitplan

Am 24. August 2023 begann Japan damit, nuklear verseuchtes Wasser ins Meer zu leiten. Diese Maßnahme, die zunächst Befürchtungen in Bezug auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit auslöste, wurde im Laufe der Zeit von der japanischen Politik akzeptiert. Einige japanische Journalisten versicherten der Öffentlichkeit, dass das Wasser sicher sei, und viele japanische Bürger glauben dies inzwischen auch.

Ende Oktober schloss TEPCO unbemerkt von der Öffentlichkeit zwei Reaktorblöcke. Kritiker halten Japans Umgang mit der Atomkrise nach wie vor für unzureichend und verweisen in einem aktuellen Bericht auf die Diskussionen um die Stilllegung der Anlage.

Rund 30 Jahre wird es dauern, bis der Atomreaktor am Unglücksort vollständig zurückgebaut ist. Danach wird es weitere 100 Jahre dauern, bis die gesamte Einrichtung abgebaut und das Gelände für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Werden nur die stark kontaminierten Teile entfernt, dauert es 300 Jahre, bis das Gelände zugänglich ist. Trotz aller Bemühungen, die Sicherheit der Ableitung von radioaktiv kontaminiertem Wasser zu betonen, ist die internationale Skepsis nach wie vor groß.

Eine von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zur Verfügung gestellte Energiekarte zeigt die Stärke des Tsunamis im Pazifischen Ozean, der durch das Erdbeben der Stärke 8,9, das Japan am 11. März 2011 erschütterte, verursacht wurde. Tausende von Menschen flohen am Freitag aus ihren Häusern entlang der Pazifikküste Nord- und Südamerikas, als ein durch das massive Erdbeben in Japan ausgelöster Tsunami die Region erreichte, sie aber offenbar vor größeren Schäden verschonte. REUTERS/NOAA/Center for Tsunami Research/Handout

Im Jahr 2016 reichten die Schätzungen für die Kosten zur Beseitigung der Folgen des Atomunfalls durch TEPCO von 22 Billionen bis 70 Billionen Yen. Da Japan jedoch nicht in der Lage ist, ein Endlager für den Atommüll zu organisieren, sind diese Schätzungen weitgehend irrelevant geworden. Dennoch berechnet die Regierung weiterhin die Kosten der Stromerzeugung. Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie geht davon aus, dass die Kosten der Kernenergie im Jahr 2030 bei 11,7 Yen pro Kilowattstunde liegen werden, also unter den Kosten für Kohlestrom. Dies deutet darauf hin, dass die finanzielle Belastung durch Nuklearunfälle in den Energiekostenkalkulationen Japans nicht angemessen berücksichtigt wird.

Der lange Zeithorizont für die Bewältigung der nuklearen Katastrophe – er erstreckt sich über Jahrhunderte – lässt eine mangelnde Dringlichkeit erkennen und birgt die Gefahr, dass das Problem auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Dieser Ansatz riskiert, die öffentliche Stimmung gegen Japan zu verschärfen und macht deutlich, dass es keine langfristig tragfähige Lösung für die nuklearen Herausforderungen des Landes gibt.

Unruhen im Nahen Osten: Japans Begründung für den Ausbau der Kernenergie

In Japan fällt die politische Akzeptanz der Ableitung von nuklear kontaminiertem Wasser mit einem strategischen Vorstoß in Richtung Kernenergie zusammen, insbesondere angesichts der anhaltenden Unruhen im Nahen Osten.

Historisch gesehen erlebte Japan nach dem Zweiten Weltkrieg ein rasantes Wachstum der Kohlenenergie, aber in den 1950er Jahren erfolgte aufgrund der US-Exporte eine Umstellung auf Erdöl. Der Übergang zur Petrochemie stärkte Japans wirtschaftliche Position, noch bevor andere Länder ähnliche Industrien entwickelten.

Bis 1973 dominierte Öl den Energiemix Japans, doch die darauf folgende Ölkrise führte zu einer Verlagerung hin zu Kohle und Kernenergie. Trotz dieser Diversifizierung stieg die Abhängigkeit Japans von Öl aus dem Nahen Osten bis 2021 auf 92,5 %.

Angesichts der erneuten geopolitischen Spannungen wird die Kernenergie als strategisches Gut betrachtet, was sich mit Daniel Yergins Beobachtung deckt, dass Staaten die Kontrolle über ihre Wirtschaft und ihren Energiesektor zurückgewinnen.

Die Folgen des TEPCO-Atomunfalls haben in Japan eine erhebliche finanzielle Belastung hinterlassen. Trotz der beträchtlichen Entschädigungskosten setzt das japanische Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) weiterhin auf die Kernenergie und betont deren Bezahlbarkeit. Diese Prioritätensetzung unterstreicht die Überzeugung des METI, dass die Gewährleistung der Energiesicherheit des Landes Vorrang vor der Bewältigung der langfristigen Folgen des Reaktorunfalls hat.

Die Grenzen erneuerbarer Energien

Japan hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um den Anteil erneuerbarer Energien von 30% im Jahr 2021 auf 36-38% im Jahr 2030 zu erhöhen. Dieser Anteil setzt sich zusammen aus Geothermie (1%), Biomasse (5%), Windkraft (5%), Photovoltaik (14-16%) und Wasserkraft (11%).

Japan steht bei der photovoltaischen Stromerzeugung weltweit an dritter Stelle, der weitere Ausbau wird jedoch durch Flächenrestriktionen begrenzt, insbesondere im Vergleich zu größeren Anlagen in China. Auch die Stromerzeugung aus Biomasse wird durch die begrenzten biologischen Ressourcen Japans eingeschränkt.

Die Windenergie gilt als potenzieller Wachstumsbereich, aber ein politischer Skandal im Jahr 2023, bei dem es um Korruption im Zusammenhang mit Windenergie ging, hat ihrem Ruf geschadet. Darüber hinaus weist METI darauf hin, dass die geografischen Bedingungen für Windenergie nicht ideal sind, so dass ihr potenzieller Beitrag zum japanischen Energiemix auf etwa 5 % begrenzt ist.

Die Geothermie, für die ein Anteil von 1% angestrebt wird, steht aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der heißen Quellen in Japan und des lokalen Widerstands gegen große Geothermieprojekte vor Herausforderungen. In Verbindung mit dem begrenzten Potenzial der geothermischen Stromerzeugung ist die Geothermie daher weniger geeignet, um einen größeren industriellen Energiebedarf zu decken.

Trotz dieser Herausforderungen ist Japan sehr daran interessiert, die Wasserstoffenergie voranzutreiben, und Unternehmen wie Toyota investieren in Brennstoffzellenfahrzeuge. Der 2030 Energy Distribution Plan des METI sieht einen Anteil von 1% für Wasserstoff und Ammoniak vor, was auf ein potenzielles Wachstum in diesen Sektoren hindeutet.

Die neue politische Korrektheit in Japan

Japan hat einen Plan aufgestellt, um seine Kohlenstoffemissionen bis 2030 zu reduzieren und bis 2050 Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Dazu will das Land seine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen von 73 Prozent im Jahr 2021 auf 41 Prozent im Jahr 2030 zurückfahren. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste der Anteil erneuerbarer Energien deutlich erhöht werden, doch selbst dann könnte dies nicht ausreichen, um den heimischen Energiebedarf zu decken. Daher tendiert Japan zunehmend dazu, seine Kernenergiekapazitäten auszubauen und kehrt damit frühere Trends um.

Allerdings stellt die geographische Anfälligkeit Japans für Erdbeben, Taifune und Tsunamis eine große Herausforderung für den Ausbau der Kernenergie dar. Darüber hinaus erschweren die angespannten diplomatischen Beziehungen Japans zu seinen Nachbarländern seine Ambitionen im Bereich der Kernenergie.

Vor dem Hintergrund der Geschichte, in der Nuklearunfälle zu bedeutenden geopolitischen Veränderungen wie dem Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen haben, birgt das Streben Japans nach Kernenergie inhärente Risiken. Trotz dieser Bedenken scheinen sich sowohl die Regierung als auch ein Großteil der japanischen Medien in erster Linie auf die vermeintliche politische Normalität der Kernenergie zu konzentrieren, so dass wenig Raum für eine differenziertere Diskussion ihrer möglichen Auswirkungen auf die Zukunft Japans bleibt.

(Quelle: E&T Magazin – IET, Snopes, METI)