Nawalny: Maskottchen transatlantischer Interessen

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Ob die genauen Umstände der angenommenen Vergiftung des russischen Politikers Alexej Nawalny je aufgedeckt werden, ist bis dato eine offene Frage. Irreversibel ist jedoch, dass zahlreiche Fragen zu dem Fall unbeantwortet und eine Fülle von Hintergrundinformationen zu Nawalnys Person für die breite Öffentlichkeit unbeleuchtet geblieben sind. In der allgemeinen Berichterstattung wird er als eine Art russischer Robin Hood dargestellt, der gegen das „korrupte Regime“ im Kreml den Kampf aufgenommen habe und deshalb nun mit einem – wenngleich missglückten – Anschlag auf sein Leben bestraft worden sei. Doch dieses Image ist rein fiktiv. Auch die offiziellen Erklärungen zum angeblich verwendeten Giftstoff bleiben äußerst vage.

Nachdem der zusammengebrochene Nawalny in die Intensivstation der Berliner Charité eingewiesen worden war, vergingen immerhin elf Tage, bis die deutsche Bundesregierung schlicht erklärte, ein Spezial-Labor der Bundeswehr habe bei der Untersuchung von Proben Nawalnys zweifelsfrei den „Nachweis eines chemischen Nervenkampfstoffes der Nowitschok-Gruppe erbracht.“ Seitdem fühlt sich die Zunft der hiesigen Kreml-Kritiker berufen, täglich das „System Putin“ und seinen „Clan“[1] für diesen Vorfall haftbar machen. Bis heute wartet die Welt allerdings auf belastbare Beweise.

Die OPCW vertritt US-Kriegsinteressen

Die Bundesregierung ließ dann wiederum Zeit verstreichen, wobei sie das Gesuch der russischen Staatsanwaltschaft auf Zusammenarbeit bei den Untersuchungen völlig beiseiteschob. Stattdessen rief man ohne Absprache die Organisation für die Nichtverbreitung chemischer Waffen an, die OPCW in Den Haag, die mit ihren 193 Mitgliedstaaten eine Art „Vereinter Nationen“ zur Ächtung von Chemiewaffen darstellt. Dessen Technisches Sekretariat entsandte ein Team in die Charité, das Blut- und Urinproben von Herrn Nawalny entnahm. Die Untersuchung brachte „Biomarker eines Cholinesterase-Inhibitors“ hervor, der nicht in der Liste der chemischen Kampfstoffe der OPWC vorkommt, aber eine „ähnliche strukturelle Charakteristik“ aufweisen soll wie giftige Chemikalien, die unter der Rubrik 1.A.14 und 1.A.15 im Anhang der OPCW-Konvention aufgeführt sind.

Das Wort Nowitschok taucht im Bericht überhaupt nicht auf. Reines Nowitschok hätte Nawalny sowieso in kurzer Zeit getötet und viele, die mit ihm in Kontakt gewesen waren, entweder ebenfalls mit in den Tod gerissen oder ihnen erheblichen Schaden zugefügt. Was also hat man in Nawalnys Proben wirklich gefunden? Die Frage bleibt schleierhaft.

OPCW-Vertragsstaatenkonferenz im November 2019 auf dem Weltforum in Den Haag, Niederlande (Quelle: Flickr)

Diejenigen Politiker auf der transatlantischen Seite, die Russland sowieso stets die Schuld an allem zuschieben, kümmern sich um solche Feinheiten natürlich nicht. Die Britische OPCW-Delegation hatte „keinen Zweifel“, dass Nowitschok, also eine „verbotene Chemiewaffe“, eingesetzt worden war, und das Russland seinen „Verpflichtungen nachkommen müsse“. Norbert Röttgen sprach sogleich von einem „völkerrechtswidrigen Einsatz des russischen Nervenkampfstoffs Nowitschok“.

Doch das Laborergebnis der OPCW ist ebenfalls nirgendwo veröffentlicht oder einzusehen. Die Stellungnahme lässt durch nebulöse Formulierungen eher Raum für Spekulationen und ist ganz und gar nicht eindeutig. Die OPCW leistet den transatlantischen, anti-russischnr Interessen hierbei dadurch Vorschub, dass sie sich den Anstrich eines unparteiischen und wissenschaftlichen Ermittlers gibt. Doch dieses Bild bekam bereits mit dem unter amerikanischem Druck erzwungenen Rausschmiss des OPCW-Generaldirektors José Bustani 2002 einen Riss.

Bustani wollte dem Irak und Libyen die Mitgliedschaft anbieten, um Inspektionen und eine schrittweise Zerstörung ihrer Chemiewaffenlager auszuhandeln. Doch der republikanische US-Außenminister Colin Powell und sein Staatssekretär für internationale Sicherheit, John Bolton, wollten den Krieg mit dem Irak um jeden Preis. Vollends büßte die OPCW ihre Integrität aber erst ein, als 2019 mehrere Whistleblower an die Öffentlichkeit traten. Ihr Vorwurf: der Abschlussbericht zum Einsatz von Giftgas 2018 im syrischen Ort Douma sei gefälscht, da er im Vorfeld sämtliche Ermittlungsergebnisse verworfen hatte, die nicht eindeutig Baschar Al-Assad als einzigen in Frage kommenden Täter verurteilte.

Prof. Günther Meyer von der Uni Mainz war einer der Experten, die im Rahmen einer Anhörung die Aussagen jener OPCW-Whistleblower auswertete. Er hat bis heute entschiedenen Zweifel an der Objektivität der OPCW, und das schließt den Fall Nawalny mit ein: „Die OPCW ist so eindeutig auf die Interessen westlicher Staaten festgelegt, dass auch bei allen folgenden Aktionen, auch eben bei Nawalny, davon auszugehen ist, dass es in jedem Fall so hingedreht wird – und von OPCW auch abgesegnet wird – dass es die Interessen des Westens im Wesentlichen widerspiegelt. Die Vertrauenswürdigkeit als unabhängige Organisation ist endgültig dahin. Auch die Umstrukturierungen, die dann als Reaktion auf die Proteste der Mitarbeiter – der Whistleblower – stattgefunden haben, zeigen eindeutig, dass es eine massive Ausrichtung hinsichtlich in erster Linie US-Amerikanischer Interessen besitzt.“

Nawalnys Milliardärs-Freunde

Was Nawalnys Umfeld angeht, ist er scheinbar das Maskottchen international agierender Finanzinteressen. Der Medienmainstream hält zwar dicht, was Berichte über Nawalnys Biographie, seine Überzeugungen und die Unterstützer angeht, die seine erheblichen Ausgaben übernehmen; doch hier und dort findet man ein paar gute Recherchen, wie die vom Chefredakteur des Portals Telepolis, Florian Rötzer. Dieser fragt sich zurecht, auf wessen Veranlassung Alexej Nawalny unter Bewachung von zahlreichen deutschen Kriminalbeamten nun in einer Luxusferienwohnung mit 5-Sterne Apartments im Schwarzwald untergekommen ist.

Der Ort werde an seinen Eingängen streng bewacht. Auch Zivilstreifen und ein Hubschrauber seien gelegentlich im Einsatz. Die 50.000 Euro für Nawalnys Behandlung in der Charité seien sowohl von dem seit 2009 in London lebenden Milliardär Jewegeni Chichwarkin, als auch vom 2013 in die USA übergesiedelten ehemaligen Chef der russischen Zentralbank (1995-98, also während der turbo-kapitalistischen Jahre) Sergei Aleksaschenko übernommen worden. Laut Rötzer wurden die 80.000 Euro für den Flug von Omsk nach Berlin vom Sohn des ebenfalls nach London ausgewanderten Milliardärs Dmitry Zimin bezahlt.

Nach Recherchen von Clara Weiss von der World Socialist Website gehörte Aleksaschenko zu Nawalnys Expertenteam, das sein neoliberales Wahlkampfprogramm bei seiner Kandidatur für den OB-Wahlkampf in Moskau verfasst hat. Als Zentralbankchef soll Aleksaschenko mitgeholfen haben, die berüchtigten GKO-Rentenanleihen einzuführen, die 1998 zum Finanzkrach Russlands und zur Verarmung weiter Bevölkerungsteile führte. Weiss schreibt auch, dass Nawalny vom Juristen zum Banker konvertierte, der nach seinen eigenen Worten „eine Marktwirtschaft der übelsten Art“ wollte, in der „nur die Stärksten überleben.

Der Rest ist ganz einfach überflüssig.“ Nawalny begann mit Immobilien und an der Börse zu handeln, um schnell reich zu werden. Laut einem Artikel von Gerd Brenner auf world-economy.eu nahm Nawalny auf Empfehlung von Garri Kasparow an einem Stipendiatenprogramm der Uni Yale teil, dem neo-liberalen World Fellowship. Die Leiterin des Programms, Emma Sky, habe die ISAF-Truppen in Afghanistan beraten und sei eine Expertin in Counter Insurgency, also dem Organisieren von Aufständen gegen Regierungen. Laut Brenner tauchen weitere neoliberale Oligarchen in Nawalnys Umfeld auch, so zum Beispiel Sergej Gurjew, der Nawalnys Wirtschaftsprogramm seiner Moskauer OB-Kandidatur 2013 ausarbeitete, und Wladimir Aschurkin, der Co-Vorsitzende von Nawalnys Antikorruptionsfond und Besitzer opulenter Immobilien in London. Diese Milliardäre vermissen vermutlich die Zeit, in der sie ein schwaches Russland und seine Bevölkerung ungehindert ausplündern konnten.

Die jetzige Regierung Putin ist ihnen vermutlich ein Dorn im Auge, und der Fall Nawalny ist schlicht ein weiterer Vorwand, den politischen „Rammbock“ gegen Russland einzusetzen. Dass sich die deutsche Bundesregierung für diese unappetitlichen Machenschaften um den Fall Nawalny einsetzt, darf man zurecht als unverzeihlich bezeichnen.


[1] Der Abgeordnete Manuel Sarrazin von Bündnis90/Die Grünen am 11. September 2020 im Deutschen Bundestag