Sanktionen meistern: China lernt von Russlands unkonventionellem Umgang mit westlichen Sanktionen

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Russland hat nicht nur alle Sanktionen des Westens meisterhaft pariert, es ist auch zum Studienobjekt geworden. Ob sich das die Architekten der Sanktionspakete im Westen auch nur in ihren kühnsten Träumen vorgestellt haben? China analysiert derzeit bis ins kleinste Detail, wie es Russland gelungen ist, die westlichen Sanktionen nicht nur abzuwehren, sondern an ihnen sogar zu wachsen.

Ein sehr prominenter chinesischer Ökonom, Ding Yifan, schrieb kürzlich einen vielsagenden Artikel mit dem Titel „Vier Strategien gegen Sanktionen, bei denen China von Russland lernen kann“. Dass Russland hier zum Vorbild und Präzedenzfall für China wird, dürfte den verdutzten Machern der Sanktionspakete schlaflose Nächte bereiten. Das Reich der Mitte wird auf möglicherweise kommende harte Sanktionen der USA und Europas wesentlich besser vorbereitet reagieren können.

Ding Yifan ist ein renommierter chinesischer Wirtschaftswissenschaftler mit langjähriger Erfahrung in internationalen Angelegenheiten. Er ist stellvertretender Direktor des Instituts für globale Trends im Entwicklungsforschungszentrum des Staatsrats. Er hat zahlreiche Beiträge zu Themen wie internationale Wirtschaft, globale Beziehungen, europäische und amerikanische Politik und Globalisierung verfasst.

(Quelle: Screenshot, Link)

Ding stellt in seinem Papier zunächst fest, dass die konventionelle Antwort auf Sanktionen gegen die eigene Währung gewesen wäre, Maßnahmen zur Stabilisierung durch den Einsatz von Devisenreserven und Zinserhöhungen zu ergreifen. Das habe aber in der Vergangenheit nie funktioniert. Hätte Russland den gleichen Weg gewählt, wäre es höchstwahrscheinlich gescheitert. Stattdessen hat Russland den genialen Schritt unternommen, ihm unfreundlich gesinnte Staaten zu zwingen, Rubel zu kaufen, um ihre Handelsverträge, zum Beispiel über Energielieferungen, zu bezahlen. Dieser Schritt ließ die Nachfrage nach Rubel auf den internationalen Märkten in die Höhe schnellen und stabilisierte den Wechselkurs. Die russische Zentralbank konnte die Zinsen niedrig halten. Investitionen und Konsum wurden dadurch kaum beeinträchtigt. Auch China könnte ähnliche Reaktionen auf mögliche Sanktionen gegen die chinesische Währung Renminbi entwickeln.

Die zweite Strategie ist laut Ding die Sicherung der Lieferketten. Russland habe schnell gehandelt, um seine industriellen Kapazitäten auf einem hohen Niveau zu halten. Dies ermögliche nicht nur eine effiziente Versorgung des Militärs. Auch in der zivilen Wirtschaft gehe die Versorgung der Bevölkerung ohne Einschränkungen weiter. Drittens habe Russland erkannt, wie wichtig es sei, seine internationalen Beziehungen auszubauen. Gerade im Hinblick auf die Sanktionen des Westens habe sich kein einziges Land des globalen Südens diesen Sanktionen angeschlossen. Russlands Handelsbeziehungen und Geschäfte gingen ohne große Einschränkungen weiter. Gerade im Zeitalter des sogenannten Decoupling und Derisking, so der Autor Ding, sei das Verhalten Russlands ein anschauliches Lehrstück für China. Auch Chinas Handel mit nicht-westlichen Staaten habe die traditionellen Handelsbeziehungen mit dem Westen inzwischen überholt.

„Russland, das größte und ressourcenreichste Land der Welt, und China, die größte Produktionsmacht der Welt, sind nun eng miteinander verflochten.” (Ding Yifan)

Der vierte strategische Punkt ist die Verringerung der Abhängigkeit von westlichen Währungen. Als Folge der Sanktionen war Russland nicht mehr in der Lage, Transaktionen mit anderen Ländern in westlichen Währungen wie dem Dollar oder dem Euro abzuwickeln. Russland hat sich daher vor allem der chinesischen Währung zugewandt. Die historische Tragweite dieses Szenarios ist vielleicht nicht allen im Westen bewusst. „Russland, das größte und ressourcenreichste Land der Welt, und China, die größte Produktionsmacht der Welt, sind nun eng miteinander verflochten. Die möglichen Folgen einer Vereinigung dieser beiden Länder sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden“, so Ding Yifan.

Das sei auch der Grund, warum das Thema De-Dollarisierung beim BRICS-Gipfel 2023 in Südafrika eine so große Rolle gespielt habe. Grenzüberschreitende Devisentransaktionen unter Umgehung des Dollars werden die Handelsbeziehungen der BRICS-Staaten in naher Zukunft prägen. Ding Yifans Fazit: „Seit der Ukraine-Krise hat uns Russland mit unschätzbaren Erfahrungen versorgt. Wir können viele Lehren aus diesem Beispiel ziehen, die uns in die Lage versetzen werden, zukünftigen Finanz- und Wirtschaftssanktionen des Westens selbstbewusster und widerstandsfähiger zu begegnen“.

Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende Mai 2022 ein Verbot von mehr als 90 Prozent aller russischen Ölimporte auf den Weg brachte, sagte sie übrigens: “Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne”. Heute, fast zwei Jahre später, muss man sich fragen: Für wen?

Quellen & Links: https://thechinaacademy.org/four-counter-sanction-strategies-that-china-can-learn-from-russia-2