Seit der Reform und Öffnung hat sich China von einem armen Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft und größten Handelsnation der Welt entwickelt. Das Pro-Kopf-BIP ist von weniger als 300 Dollar auf mehr als 12.000 Dollar gestiegen, und es gibt inzwischen eine Mittelschicht mit mehr als 400 Millionen Menschen.

Im krassen Gegensatz zu China sehen sich heute eine Reihe anderer Länder mit Regierungskrisen, sich verschärfenden sozialen Konflikten und großer Unsicherheit in der politischen Ökonomie konfrontiert. Woher kommt dieser Kontrast? Dazu führte der China News Service kürzlich ein Interview mit Zheng Yongnian, Direktor des Advanced Institute des Institute for International Affairs der Chinese University of Hong Kong in Shenzhen.

Der Kontrast zwischen den eigenen Problemen des Westens und dem anhaltenden Aufstieg Chinas hat dazu geführt, dass der Westen das chinesische Wirtschaftssystem fürchtet. Warum gibt es einen solchen Widerspruch in der gleichen Periode der Globalisierung? Ist das chinesische System “ beängstigend „?

Das hat vor allem mit den eigenen Governance-Problemen des Westens zu tun, insbesondere mit der wachsenden Einkommenskluft, die zu einer starken Polarisierung der Gesellschaft geführt hat. Die Globalisierung hat einen relativ freien Fluss von Kapital, Technologie und Arbeitskraft in der ganzen Welt ermöglicht, wovon einige westliche Länder, insbesondere Großbritannien und die Vereinigten Staaten, profitiert haben. Allerdings hat ein kleiner Teil ihrer Bürger den Großteil der Globalisierungsvorteile für sich beansprucht, so dass ein beträchtlicher Teil der Mittelschicht nicht davon profitieren konnte. Infolgedessen ist die Mittelschicht in den USA seit den 1980er Jahren von 65 Prozent auf heute etwa 50 Prozent geschrumpft.

Während die Globalisierung China in ähnlicher Weise getroffen hat, hat unser System klare Vorteile. Seit der Reform und Öffnung hat sich China von einem armen Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt entwickelt und in vier Jahrzehnten mehr als 800 Millionen Menschen aus der Armut geholt, wobei die Gruppe der Menschen mit mittlerem Einkommen inzwischen 400 Millionen übersteigt. Obwohl die Globalisierung unsere Einkommensunterschiede beeinflusst hat, haben wir durch institutionelle Stabilität und gezielte Armutsbekämpfung eine grundlegende soziale Ausgewogenheit aufrechterhalten.

China ist eines der wenigen Länder, denen es seit den 1980er Jahren gelungen ist, drei nachhaltige Entwicklungen gleichzeitig zu erreichen: nachhaltiges Wirtschaftswachstum, dauerhafte soziale Stabilität und eine konsequente Unterstützung des politischen Systems. Das Zusammentreffen dieser drei Faktoren, vor allem auf internationaler Ebene, hat einige westliche Länder veranlasst, China mit Besorgnis zu betrachten. Während der Westen wirtschaftlich, technologisch und wissenschaftlich immer weiter voranschreitet, bleiben die anhaltenden Probleme der sozialen Ungleichheit ungelöst.

In den letzten Jahren haben einige westliche Länder China als „staatskapitalistisch“ bezeichnet. Warum ist diese Sichtweise unhaltbar?

Seit der Neuzeit haben fast alle Länder eine Form des Staatskapitalismus eingeführt, wobei der Staat in unterschiedlichem Maße an der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt ist. Auch die USA praktizieren eine Form des Staatskapitalismus; so förderte der Keynesianismus von 1945 bis 1970 staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, ein Trend, der sich auch unter der jetzigen Regierung Biden fortsetzt. Im Vergleich zu den USA verfügt China über ein zusätzliches Instrument der Wirtschaftsintervention: die staatlichen Unternehmen (SOEs). In den USA gibt es keine Staatsunternehmen, sondern die Industriepolitik wird über den militärisch-industriellen Komplex umgesetzt.

Einige westliche Beobachter betrachten China ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des „Staatskapitalismus“, vor allem aufgrund seines rasanten Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren, was sie dazu veranlasst, China als Bedrohung mit einer ideologischen Dimension wahrzunehmen. Der Begriff des Staatskapitalismus wurde jedoch ursprünglich von Lenin eingeführt und bezeichnet in erster Linie eine Planwirtschaft, in der allein das Staatskapital dominiert.

Im Gegensatz zu dieser engen Sichtweise gibt es in China nicht nur staatliche Unternehmen, sondern auch einen dynamischen Privatsektor, der einen erheblichen Beitrag zur Wirtschaft des Landes leistet. Auf private Unternehmen entfallen mehr als 50 Prozent der Steuereinnahmen, mehr als 60 Prozent des BIP, mehr als 70 Prozent der technologischen Innovationen, mehr als 80 Prozent der Arbeitsplätze in den Städten und mehr als 90 Prozent aller Unternehmen.

Im Gegensatz zur politischen und wirtschaftlichen Trennung im Westen war die Wirtschaft in China nie ein wirksames Steuerungsinstrument. Was für ein „alternatives System“ bietet China?

Im Westen hat der rasche Aufstieg und die Entwicklung des Kapitalismus zu einer allmählichen Trennung der Wirtschaft von allen Bereichen der Gesellschaft geführt, die in der heutigen Form der neoliberalen Wirtschaft gipfelte, die die Autonomie der Wirtschaft betont und staatliche Eingriffe ablehnt.

Diese Trennung von Politik und Wirtschaft ist die Triebfeder sowohl des westlichen Wirtschaftswachstums als auch seiner sozialen Herausforderungen. In ostasiatischen Kulturen wie China, Korea und Singapur war wirtschaftliche Aktivität jedoch nie allein Sache des Staates. In der Geschichte Chinas hat der Staat die Wirtschaft seit jeher gesteuert, was sich in Projekten wie dem Großen Kanal und dem heutigen Hochgeschwindigkeitsbahnnetz widerspiegelt. Die rasante Entwicklung Chinas in jüngster Zeit und die massiven Infrastrukturprojekte unterstreichen die Effizienz des Systems.

Heute kämpft der westliche Kapitalismus aufgrund des Kapitalwachstums mit einem Ungleichgewicht zwischen staatlichen und marktwirtschaftlichen Kräften. Um dieses Problem zu lösen, muss das Verhältnis zwischen Staat und Markt neu austariert werden. Der Westen ist dabei, sein Wirtschaftssystem zu überdenken. Die Bidenomics bleiben zwar im Kapitalismus verwurzelt, legen aber mehr Wert auf staatliche Interventionen zum Schutz schwacher Gruppen und der Mittelschicht. Inzwischen plädiert auch der Privatsektor in den USA für ein stärkeres Engagement des Staates.

Der aktuelle Diskurs über Chinas Wirtschaftssystem – wie die Regierung ihr Verhältnis zum Markt gestaltet und ein alternatives System anbietet – zielt nicht darauf ab, das westliche Modell zu verdrängen. Er bietet vielmehr einen zusätzlichen Bezugspunkt für globale Überlegungen.

Seit der Moderne hat sich China in die Weltwirtschaft integriert und ist allmählich zu einem wichtigen Akteur geworden. Wie sind die Formulierungen „globale Lösungen für Chinas Herausforderungen“ und „Chinas Lösungen für globale Herausforderungen“ zu verstehen?

Diese Frage bleibt aktuell. Seit das moderne China mit dem westlich dominierten globalen System interagiert, existieren beide Konzepte nebeneinander. Nach dem Zusammenbruch der Qing-Dynastie ließen sich Chinas Eliten vom Westen inspirieren und experimentierten mit westlich geprägten Regierungsstrukturen, bevor sie sich nach der Oktoberrevolution in Russland schließlich dem Marxismus-Leninismus zuwandten, was zur Gründung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) führte. Der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 ist ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung.

In der Vergangenheit verfolgte China vor allem den Ansatz „Chinesische Herausforderungen, globale Lösungen“. Mit Chinas jüngstem Aufstieg, insbesondere nach der Reform und Öffnung, zeichnet sich jedoch ein Paradigmenwechsel in Richtung „Globale Herausforderungen, Chinas Lösungen“ ab. So sind beispielsweise Chinas Bemühungen zur Armutsbekämpfung sowohl eine nationale als auch eine globale Aufgabenstellung. Auch Initiativen wie die Belt and Road Initiative und Chinas Modernisierungsbestrebungen verkörpern diesen Ansatz.

Es ist wichtig zu erkennen, dass China bei der Suche nach „globalen Lösungen für Chinas Herausforderungen“ nicht einfach ausländische Modelle kopiert, sondern sie durch eine eindeutig chinesische Brille anpasst. Wenn China „chinesische Lösungen für globale Herausforderungen“ anbietet, betont es damit die Wahlmöglichkeit im Gegensatz zur Auferlegung.

Dieser Ansatz steht im Einklang mit den Grundprinzipien der chinesischen Zivilisation: Inklusivität, Harmonie und Anpassungsfähigkeit. Historisch gesehen hat die chinesische Zivilisation die Stärken anderer Kulturen absorbiert und integriert und dabei ihre einzigartige Identität bewahrt.

(Quelle: China News Service)