Warum China trotz weltweiter Sicherheitsbedenken die Kernenergie vorantreibt

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Im August dieses Jahres hat China den Bau von elf neuen Kernkraftwerken genehmigt und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Zum ersten Mal seit 2011 benutzte die Zentralregierung den Begriff „beschleunigen“, um ihre Strategie zum Ausbau der Kernenergie zu beschreiben. Sowohl bei der Anzahl der genehmigten als auch der im Bau befindlichen Kernkraftwerke ist China nun weltweit führend.

Warum baut China seinen Kernenergiesektor weiter aus, insbesondere nachdem die weltweite Begeisterung nach der Atomkrise in Japan nachgelassen hat? Diese Frage stellen sich viele westliche Länder.

Im August 1955 fand im Palais des Nations in Genf die erste internationale Konferenz über die friedliche Nutzung der Kernenergie statt, eine bahnbrechende Veranstaltung, an der fast 1.500 offizielle Delegierte aus 73 Ländern und über 1.300 Beobachter teilnahmen.

Zu diesem Zeitpunkt war das erste funktionsfähige Kernkraftwerk in Obninsk, Sowjetunion, fertiggestellt und das erste kommerzielle Druckwasserreaktor-Kraftwerk in Shippingport, Pennsylvania, USA, im Bau.

Doch an diesem globalen Ereignis konnte China, wo fast ein Viertel der Weltbevölkerung lebte, aus politischen Gründen nicht offiziell teilnehmen. Nur dank der Bemühungen von Jean Frédéric Joliot-Curie, dem Präsidenten der World Federation of Scientific Workers (WFSW), konnte sich die chinesische Wissenschaftsgemeinschaft als Beobachter beteiligen.

Siebzig Jahre später hat sich die chinesische Nuklearindustrie von diesen bescheidenen Anfängen zu einem weltweit führenden Unternehmen entwickelt. Die Information Technology and Innovation Foundation (ITIF), eine Denkfabrik mit Sitz in den USA, berichtete im Mai 2024, dass China bis 2030 die USA als weltgrößter Produzent von Kernenergie überholen dürfte, mit 56 Kernreaktoren in Betrieb und 27 weiteren im Bau. Zwar sind die USA nach wie vor weltweit führend in der Kernenergieproduktion, doch ist diese Vormachtstellung vor allem auf die bestehende Infrastruktur zurückzuführen, da das Land in den letzten zehn Jahren nur zwei neue Anlagen gebaut hat. Im Gegensatz dazu hat China seine installierte Kernenergiekapazität in den letzten zehn Jahren verdreifacht und dürfte mit Reaktoren der vierten Generation einen Vorsprung von 10 bis 15 Jahren gegenüber den USA haben.

Diese Führungsposition spiegelt sich nicht nur in der Anzahl der Reaktoren in China wider, sondern auch in seiner Forschungs- und Innovationskapazität. China ist heute für 20 % der weltweiten wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Bereich der Kernenergie und für 27 % der am häufigsten zitierten Literatur verantwortlich und steht damit im H-Index für diesen Bereich an erster Stelle. Sein Anteil an Patenten für Nukleartechnologien ist von 1,3 % im Jahr 2008 auf 13,4 % im Jahr 2023 gestiegen. Auch ein führender australischer Think Tank hat die wachsende Dominanz Chinas im Bereich nuklearer Innovationen anerkannt.

Historisch gesehen sind Länder wie Japan, Indien, Südkorea und sogar die Philippinen während des weltweiten Kernenergiebooms in den 1950er bis 1970er Jahren früher in die Nuklearindustrie eingestiegen als China. Viele dieser frühen Betreiber hatten jedoch Schwierigkeiten, ihre nukleare Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Zwischenzeitlich führte die Reaktorkatastrophe von Fukushima in Japan zur Abschaltung aller kommerziellen Reaktoren, von denen erst 12 nach mehr als einem Jahrzehnt wieder in Betrieb genommen wurden.

Ende der 1970er Jahre kam es zu einer Wende auf dem Weltmarkt für Kernenergie, als die Nachfrage zurückging und große Kernenergienationen wie Frankreich ihre Bereitschaft zum Technologietransfer signalisierten. Dies bot Ländern wie China, die noch am Anfang der Entwicklung der Kernenergie standen, eine einmalige Chance. China, das mit Projekten wie Qinshan seine Autonomie in den Vordergrund stellte, nutzte diese Gelegenheit, um fortschrittliche Technologien einzuführen. Ein Meilenstein in diesem Prozess war die Entscheidung Deng Xiaopings im Jahr 1978, ein Projekt zum Kauf von zwei Kernkraftwerken der Megawattklasse in Frankreich zu initiieren, ein Schritt, der die Entwicklung der Kernenergie in China entscheidend beschleunigte.

Diese Entscheidung führte zur Gründung wichtiger Forschungsinstitute und ebnete den Weg für das Kernkraftwerk Daya Bay, ein chinesisch-französisches Gemeinschaftsprojekt. Mitte der 1980er Jahre entwickelte die chinesische Nuklearindustrie eine Strategie, die Autarkie mit dem Zukauf von Technologie verband. Dieser Ansatz beschleunigte nicht nur die Entwicklung der chinesischen Nuklearinfrastruktur, sondern ermöglichte es China auch, zu anderen Ländern wie Indien aufzuschließen.

Das Daya-Bay-Projekt war beispielhaft in seiner Umsetzung, da es ausländische Technologie mit der Entwicklung lokaler Expertise verband. Unter entschlossener politischer Führung gelang es China nicht nur, die Einführung ausländischer Technologie abzuschließen, sondern auch den Ausbau der eigenen Kernkraftkapazitäten voranzutreiben.

Die CGNPC betreibt derzeit 28 Kernkraftwerke mit einer installierten Leistung von 31,76 Millionen Kilowatt, was mehr als der Hälfte der gesamten Kernkraftkapazität Chinas entspricht. Weitere 16 Einheiten mit einer Leistung von 19,4 Millionen Kilowatt befinden sich im Bau. Die Sicherheitsstandards der CGNPC sind weltweit anerkannt, und die meisten ihrer Blöcke erfüllen oder übertreffen die Benchmarks der World Association of Nuclear Operators (WANO). Der langfristige, sichere Betrieb von Ling’ao Unit 1, das bereits seit mehr als 6.500 Tagen ununterbrochen in Betrieb ist, ist ein Beispiel für das Engagement des Unternehmens für Sicherheit und Zuverlässigkeit.

Über die Kernenergie hinaus hat sich CGNPC zu einem diversifizierten Industrieunternehmen entwickelt, das sich auf neue Energien, Kernbrennstoffe und fortschrittliche Technologieanwendungen konzentriert. Das Portfolio sauberer Energien, zu dem auch Wind- und Solarenergie gehören, umfasst eine installierte Leistung von über 110 Millionen Kilowatt. Das Gesamtvermögen der Gruppe übersteigt inzwischen eine Billion Yuan [ca. 130 Mrd. Euro, Anm. d. Red.], was CGNPC zu einem der effizientesten staatlichen Unternehmen macht.

Ein wichtiger Teil der vertikalen Integration von CGNPC ist der Fokus auf die Sicherung von Uranressourcen. Seit 2008 investiert das Unternehmen strategisch in den Uranabbau in Regionen wie Zentralasien, Afrika, Australien und Kanada. Insbesondere die Husab Uranmine in Namibia, eine der größten Investitionen Chinas in Afrika, hat sich sehr positiv auf die Wirtschaft und die Beschäftigung in Namibia ausgewirkt.

CGNPC engagiert sich auch für die Lokalisierung und technologische Innovation im Nuklearsektor, insbesondere mit dem Reaktor Hualong One. Dieser in China entworfene und entwickelte Reaktor symbolisiert Chinas wachsende Unabhängigkeit in der Nukleartechnologie. Mit der erfolgreichen Inbetriebnahme von Block 4 in Fangchenggang in diesem Jahr wurde das Hualong-Demonstrationsprojekt abgeschlossen. An diesem Projekt waren über 5.400 chinesische Unternehmen beteiligt, die bei der Lokalisierung von über 400 wichtigen Ausrüstungsteilen halfen und eine inländische Lieferkette ohne externe Engpässe sicherstellten. 

Chinas Erfolg bei der Entwicklung der Kernenergie beruht auf einer Kombination aus strategischer Entscheidungsfindung, effektiver Umsetzung und einem unterstützenden Ökosystem. Während andere Nationen mit Rückschlägen in der Kernenergie zu kämpfen hatten, hat Chinas systematischer Ansatz das Land in die Lage versetzt, in einer Branche zu florieren, die nachhaltiges Engagement, langfristige Investitionen und technologische Innovation auf höchstem Niveau erfordert. 

Quelle: Guancha, CGNPC, power-technology