Der Verdacht scheint sich zu bestätigen, dass der übereilte Abzug der USA und der NATO aus Afghanistan nicht einen generellen Rückzug aus den kostspieligen und endlosen Kriegen der vergangenen 20 Jahre bedeutet, sondern nur die Verlagerung der Kräfte auf ein neues Gefechtsfeld: den Indo-Pazifik.

cdn

Kaum mehr als zwei Wochen waren vergangen seit der hektischen und verlustreichen Evakuierungsaktion am Kabuler Flughafen, da kündigten der amerikanische Präsident Joe Biden und die Premierminister Boris Johnson aus Großbritannien und Scott Morrison aus Australien am 15. September 2021 mit pompösen Worten bereits ein neues Militär- und Sicherheitsbündnis an: AUKUS.

Man trage eine „gemeinsame Verantwortung, den Bedrohungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen,“ denn „unsere Zukunft und die der ganzen Welt hängt von einem offenen und freien Indopazifik ab“, erklärte Biden voller Pathos. Man habe schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg, im Korea-Krieg und bei den Schlachten am Persischen Golf Schulter an Schulter miteinander gekämpft, so Biden, als könne man daraus den logischen Schluss ziehen, die drei Mächte würden auch beim kommenden Indo-Pazifischen Krieg, oder gar beim Dritten Weltkrieg, zusammenstehen.[1] Johnson betonte, man wolle die „Sicherheit und Stabilität im indopazifischen Raum“ wahren, während Morrison eine nicht weniger schicksalsträchtige Rhetorik bemühte: „Unsere Welt wird immer komplexer, insbesondere hier in unserer Region, dem Indopazifik.  Das betrifft uns alle.  Die Zukunft des indo-pazifischen Raums wird sich auf unser aller Zukunft auswirken.“[2]

Auch wenn in keinem der Redetexte das Wort „China“ auftauchte, ist es mehr als naheliegend, dass sich dieses neue australisch-britisch-amerikanische Bündnis fast ausschließlich gegen China richtet.

Global Britain

AUKUS ist nicht als feindlich gegenüber irgendeiner anderen Macht gedacht,“ betonte der Britische Premierminister Boris Johnson noch ausdrücklich in einer Ansprache vor dem englischen Unterhaus einen Tag nach der Ankündigung des neuen Bündnisses.[3] „Es spiegelt lediglich die engen Beziehungen wider, die wir mit den Vereinigten Staaten und zu Australien unterhalten, die gemeinsamen Werte, die wir haben, und das große Vertrauen, das zwischen uns herrscht.“ Johnson versucht scheinbar, nicht nur vom offensichtlichsten abzulenken, sondern er widerspricht auch der von ihm selbst, auf Befehl seiner Königin, ausgearbeiteten Blaupause für eine solche strategische Neuausrichtung – nämlich dem viel diskutierten Regierungsbericht vom März dieses Jahres, der unter dem Schlagwort „Global Britain“ kursiert.[4]

Der volle Titel lautet übersetzt in etwa folgendermaßen: Das globale Großbritannien in einem wettbewerbsorientierten Zeitalter. Die integrierte Überarbeitung der Sicherheit, Verteidigungs-, Entwicklungs- und Außenpolitik. Darin heißt es: „Chinas wachsende Macht und sein internationales Durchsetzungsvermögen werden wahrscheinlich der wichtigste geopolitische Faktor der 2020er Jahre sein.“ Hier werden selbst weniger mit der Materie vertraute Beobachter noch eins und ein zusammenzählen können. Was die Anti-China-Haltung des australischen Premiers Morrison angeht, ist diese seit jeher bekannt. Die Rhetorik eskalierte in jüngster Zeit dermaßen, dass selbst Morrisons Amtsvorgänger aus dem 1990er Jahren, Paul Keating, ihm vorwarf, er würde durch seine „unnötigen Provokationen gegen Peking“ und seinen „willfährigen Zwang, es Amerika recht zu machen“ Australien „praktisch in einen kalten Krieg mit China“[5] führen.

Die USA selbst haben mit ihrem „Indo-Pazifischen Strategiebericht“ bereits vor zwei Jahren die „revisionistische Macht China“ auf Korn genommen. AUKUS soll also unter der Führung der Anglo-Amerikaner sämtliche Bestrebungen zur Eindämmung Chinas bündeln. Man wird nicht nur Australien mit einer Flotte atomgetriebener U-Boote ausrüsten, sondern auch die Länder diverser regionaler Institutionen wie ASEAN und QUAD noch stärker auf die Anti-China-Linie einschwören.

Dauerhafte Interessen

Mittlerweile kam ans Tageslicht, dass der Ankündigung des AUKUS-Pakts geheime Vorbereitungen vorausgingen, die über einen Zeitraum von 18 Monaten liefen. Australien soll beim G7-Gipfel im englischen Cornwall im Juni dieses Jahres an die Briten mit dem Wunsch nach einem solchen Deal herangetreten sein. Über solche Hinterzimmer-Verhandlungen ist der NATO- und G7-Verbündete Frankreich verständlicherweise völlig entsetzt, nicht zuletzt deshalb, weil es einen 66 Mrd. Dollar umfassenden Rüstungsvertrag verliert, den es mit Australien fünf Jahre lang verhandelt hatte, und der für den Monat September 2021 zur Unterschrift reif sein sollte.

Der Direktor der Londoner Denkfabrik Chatham House, Robin Niblett, schrieb: „Für Frankreich ist die Annullierung des U-Boot-Vertrags natürlich eine schmerzliche Demütigung und ein schwerer Schlag für Tausende von Arbeitnehmern in seiner Hightech-Rüstungsindustrie. Außerdem kommt sie zu einem politisch heiklen Zeitpunkt, da Emmanuel Macron im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2022 sein internationales Ansehen unter Beweis stellen möchte.[6] Frankreich wird sicherlich noch einige Zeit mit der Aufarbeitung dieses „Dolchstoßes“ beschäftigt sein.

Besonders seltsam ist es, dass Präsident Biden bei seiner Rede zur Ankündigung von AUKUS noch sagte: „Insbesondere Frankreich ist im indo-pazifischen Raum stark vertreten. Es ist ein wichtiger Verbündeter bei der Stärkung der Sicherheit und des Wohlstands in der Region. Die USA freuen sich auf eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich und anderen wichtigen Ländern.“ Auch in der aktuellen Geopolitik scheint immer noch das alte Wort von Lord Palmerston zu gelten, der im 19. Jahrhundert Großbritanniens Außenpolitik auf dem Höhepunkt seiner imperialen Ambitionen anführte: Nationen haben keine dauerhaften Freunde oder Verbündeten, sie haben nur dauerhafte Interessen.

Atomkrieg mit China?

Auf großer Bühne, mit den Flaggen der USA und Australien im Hintergrund, trafen sich auch die Außen- und Verteidigungsminister der beiden Länder am 16. September, um ihre „unzerbrechliche Allianz“ zu beschwören, so US-Außenminister Lloyd Austin. Austin nahm dann kein Blatt vor den Mund, worum es bei AUKUS und der Rüstungspartnerschaft mit Australien geht: „“Wir haben ausführlich über Chinas destabilisierende Aktivitäten und Pekings Bemühungen gesprochen, andere Länder entgegen den etablierten Regeln und Normen einzuschüchtern.“[7] Die Militärallianz wird über atombetriebene Offensiv-U-Boote noch hinausgehen.

So sprach der australische Verteidigungsminister Dutton davon, Australien und die Vereinigten Staaten würden auch „eine verstärkte Zusammenarbeit bei den Luftstreitkräften durch die rotierende Entsendung von US-Militärflugzeugen aller Art nach Australien“ anstreben.

Die Beschwichtigungen, die neuen U-Boote für Australien würden lediglich nukleare Antriebe besitzen, aber keine mit nuklearen Sprengköpfen ausgestatteten Raketen erhalten, kann nicht wirklich zur Beruhigung der Lage beitragen.

Im Ernstfall kann zwischen einem konventionellen und einem nuklearen Raketenangriff durch U-Boote eigentlich nicht unterschieden werden. Darüber hinaus gibt es keinerlei Garantien, dass die USA zu irgendeinem Zeitpunkt nicht doch nuklear bestückte Raketen an Australien ausliefern wird, wenn die entsprechenden Abschusssysteme bereits vorhanden sind. Dies ist besonders heikel angesichts der Äußerungen von Admiral Charles Richard, der Leiter des Strategischen Kommandos der USA, das für nukleare Schlagkraft und Raketenabwehr zuständig ist.

Dieser schrieb laut Bericht der London Times: „Es besteht die reale Möglichkeit, dass eine regionale Krise mit Russland oder China schnell zu einem Konflikt unter Einsatz von Atomwaffen eskaliert […]. Folglich muss das US-Militär von der Grundannahme ‚der Einsatz von Atomwaffen ist nicht möglich‘ zu der Annahme ‚der Einsatz von Atomwaffen ist eine sehr reale Möglichkeit‘ übergehen und auf diese Realität reagieren.“ Nach Richards‘ Logik müssen die USA sogar Atomwaffen an Australien liefern. China jedenfalls geht davon aus, dass durch AUKUS und die Aufrüstung Australiens die regionale Stabilität ernsthaft beschädigt wird. Der Außenamtssprecher Zhao Lijian forderte die betreffenden Länder auf, sie sollten „die überholte Nullsummenmentalität des Kalten Krieges und die engstirnige geopolitische Sichtweise aufgeben.“[8] Ein hochrangiger chinesischer Militärexperte sagte gegenüber der Global Times, dass derzeit nur Länder mit Atomwaffen über Atom-U-Boote verfügten, und dass Atom-U-Boote dazu da seien, Zweitschläge in einem Nuklearkrieg auszuführen.[9]

Die Tatsache, dass amerikanische Marineschiffe kürzlich bereits zum neunten Mal seit Bidens Amtsantritt die Straße von Taiwan durchquert haben und sich die chinesische Armee dadurch quasi ständig in höchster Alarmbereitschaft befindet, trägt zur Beruhigung der regionalen Lage sicherlich in keinster Weise bei.


[1] https://www.youtube.com/watch?v=O9OSbXjuqUU

[2] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2021/09/15/remarks-by-president-biden-prime-minister-morrison-of-australia-and-prime-minister-johnson-of-the-united-kingdom-announcing-the-creation-of-aukus/

[3] https://www.youtube.com/watch?v=rmNBHrVLYi0

[4] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/975077/Global_Britain_in_a_Competitive_Age-_the_Integrated_Review_of_Security__Defence__Development_and_Foreign_Policy.pdf

[5] https://www.rt.com/news/533899-paul-keating-scott-morrison-china/

[6] https://www.chathamhouse.org/2021/09/aukus-reveals-much-about-new-global-strategic-context

[7] https://www.defense.gov/Explore/News/Article/Article/2777798/australia-us-alliance-is-stronger-deeper-than-ever-officials-say/

[8] https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/xwfw_665399/s2510_665401/2511_665403/t1907498.shtml

[9] https://www.globaltimes.cn/page/202109/1234460.shtml