Streit mit China – darauf scheint eine Erklärung hinauszulaufen, die Ende September von einem Gremium der größten Fraktion im Europäischen Parlament verabschiedet worden ist. Die Politische Versammlung der mitte-rechts orientierten Europäischen Volkspartei (EVP) genehmigte ein Positionspapier[1], das die Haltung der EU gegenüber China neu bestimmen will, und zu einer Allianz der weltweiten liberalen Demokratien gegen Chinas „Autokratie“ aufruft.

Manfred Weber aus Deutschland von der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) (AP Photo/Jean-Francois Badias)

Dieses Dokument käut so ziemlich alle Verleumdungen wieder, die ansonsten entweder in der transatlantischen Sensations- und Hetzpresse, oder von Trump-Beratern wie Steve Bannon und David Navarro rauf und runter gebetet werden. Von ‚China spaltet Europa‘ über ‚die Kommunistische Partei ist verantwortlich für die Covid-19 Pandemie‘ bis hin zur ‚Unterdrückung der Uighuren in Xinjiang‘ ist eigentlich für jeden Chinahasser etwas dabei; und selbst vor Falun Gong Propaganda („Organhandel“) wird nicht Halt gemacht. Sollte dieses Papier zur Richtschnur für die Beziehungen zwischen der EU und China werden, steht uns ein heftiger Konflikt mit China, und eine Blamage der EU ins Haus. Damit würde sich die europäische Führung ungeniert auf eine Stufe mit dem „Weltpolizei“-Establishment der USA und Großbritanniens stellen, denen ein Heer an Denkfabriken, NGOs und Medien als willige Erfüllungsgehilfen dient. Die EVP segnet damit im Grunde dieselbe Politik gegenüber China ab, mit welcher US-Außenminister Mike Pompeo unermüdlich um die Welt reist und Staaten gegen Peking aufhetzt.

Dazu gehört auch dessen Bemühungen, eine militärische Allianz gegen China im Indopazifik zu schmieden, die unter der Bezeichnung „Quad“ den Zusammenschluss zwischen den USA, Australien, Japan und Indien zu einer Art asiatischer NATO zum Ziel hat. In dem erwähnten Papier unterstützt die EVP ausdrücklich die „verstärkte Zusammenarbeit der EU mit Wertepartnern im Asiatisch-Pazifischen Raum, insbesondere Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und Taiwan.“ Mit diesen Ländern wolle man „gemeinsame Projekte im Bereich Verteidigung und Sicherheit“ durchführen, einschließlich „gemeinsamer Flottenmanöver“. Das birgt Sprengstoff.

Westen versteht China nicht

Jahrzehntelang, so die Autoren des EVP-Papiers, habe man in der EU bzw. im Westen geglaubt, dass China automatisch eine Liberalisierung – sprich: Angleichung an westliche Normen – durchmachen würde, wenn man dem Land nur eine größere Mitwirkung bei der Globalisierung gestattet, u.a. durch die Mitgliedschaft bei der Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 2001.

Doch China ging nun mal seinen eigenen Weg und vervollkommnete sein „China-Modell“, wie es der amerikanische Gesellschaftsforscher John Naisbitt nannte. Der Westen, so schlussfolgerte Naisbitt, wolle China nicht verstehen, weder seine Zivilisationsgeschichte, noch seinen Wunsch, eine starke Binnenwirtschaft und ein internationales Handelsnetzwerk aufzubauen, um wirtschaftlich aufzusteigen. Jetzt, wo China endlich stark und fortschrittlich geworden ist, und wo gleichzeitig der Westen durch seine selbstverschuldete Finanzkrise, durch falsche Sparzwänge und grünen Fanatismus seine eigene Wirtschaft abwürgt, kontert der Westen mit einem Schwall schwarzer Propaganda und Beschimpfungen. China, so die EVP, sei zu einer „geopolitischen Herausforderung“ für westliche Werte geworden.

Alles in der Welt muss sich an Demokratie, Menschenrechte, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit orientieren, denn ansonsten gehört man automatisch zu den bösen, aggressiven ‚Regimen‘. Um diesem schwarz-weiß Schema Glaubwürdigkeit zu verleihen, bemüht man solch illustre Zeugen wie Lord Patten, dem letzten Kolonialgouverneur in Hongkong, der sich schon seit langem über die „kommunistische Diktatur“ in Peking aufregt; wahrscheinlich, weil ihm die Wiedervereinigung Hongkongs unter dem „Ein Land, zwei Systeme“-Modell seinen Job gekostet hat. Wann entschuldigt sich der Baron Patten eigentlich stellvertretend für die Britische Aristokratie, der er angehört, für die zahllosen auch chinesischen Opfer des Britischen Imperialismus, die spätestens seit dem Angriffskrieg der Engländer („Opiumkriege“) gegen China zu beklagen waren. Mit solchen Wortführern wird die EVP keinen goldenen Topf gewinnen.

Von der Leyens „Menschenrechte“

Auch die EU spielt schon länger mit dem geopolitischen Feuer. Am 29. Mai 2020 führte Josep Borrell, der die wichtigste außenpolitische Abteilung der EU leitet, ein Gespräch mit allen europäischen Außenministern.

Das Hauptthema sei die Beziehung der europäischen Länder zu China gewesen, wobei Borrell China wiederholt „systemischer Rivale“ nannte. Seine Bemerkungen folgten auf eine Erklärung, in der China dafür verurteilt wurde, dass es mit dem neuen Sicherheitsgesetz für Hongkong das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ angeblich „ernsthaft untergraben“ habe. Das gegenseitige Vertrauen zwischen Europa und China sei nun in Frage gestellt.

Auf der Grundlage dieser veränderten Sichtweise werde die EU eine „neue Sicht auf China ausarbeiten, die alle jüngsten Entwicklungen berücksichtigt: die Pandemie, Hongkong, [Chinas] durchsetzungsfähigere Diplomatie“. Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verwendet in ihren Presseerklärungen zunehmend schroffere Formulierungen gegenüber China, indem sie betont, dass „Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht verhandelbar sind“, ohne allerdings zu erwähnen, dass die EU selbst viel internationale Kritik darüber einstecken muss, wie sie mit der Pandemiebekämpfung und der Flüchtlingskrise umgegangen ist, indem sie zugelassen hat, dass Vertriebene unter entsetzlichen Bedingungen in Lagern festgehalten werden. Offensichtlich sind also Menschenrechte und Freiheiten für die EU dann verhandelbar, wenn ihre eigenen Interessen betroffen sind.

„Systemwettbewerb“ verloren

Eine weitere großangelegte Kampagne, auf die sich Frau von der Leyen und Josep Borrell verlegt haben, ist die Behauptung, dass China Desinformationen über den Ausbruch von Covid-19 verbreitet hätte.

Ein Vorzeigeprojekt des Europäischen Auswärtigen Dienstes ist die so genannte East StratCom Task Force, die China vorwirft, von der angeblich eigenen Schuld an der Coronavirus-Pandemie abzulenken und „die Pandemie zu nutzen, um ihr eigenes Regierungssystem zu fördern und ihr Image im Ausland zu verbessern“.

In einer gemeinsamen Mitteilung der EU-Kommission vom 10. Juni dieses Jahres mit dem Titel „Bekämpfung der COVID-19-Desinformation – Die Fakten richtig stellen“ heißt es: „Ausländische Akteure und bestimmte Drittländer, insbesondere Russland und China, haben in der EU, in ihrer Nachbarschaft und weltweit gezielte Einflussnahmen und Desinformationskampagnen rund um COVID-19 durchgeführt, um die demokratische Debatte zu untergraben und die soziale Polarisierung zu verschärfen und ihr eigenes Image im Zusammenhang mit COVID-19 zu verbessern.“

Die Realität ist jedoch, dass China durch seine Maßnahmen die Covid-19 Pandemie nahezu vollständig unter Kontrolle gebracht hat. Gleichzeitig hat es zahlreichen Ländern weltweit humanitäre und logistische Hilfe im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung zuteilwerden lassen. Die chinesische Wirtschaft konnte sich als Folge davon wesentlich rascher erholen, so dass derzeit inländischer Konsum und der Import-Export-Sektor boomen.

Die großen strategischen Linien der chinesischen Führung – Armutsbeseitigung, Ausbau der Neuen Seidenstraße, technologische Modernisierung – können so weiterverfolgt werden, was China in eine zentrale Position für die Wiederbelebung der Weltwirtschaft gebracht hat. Gerade fand eine der größten Wirtschaftsmessen der Welt – die China International Import Expo (CIIE) – in Shanghai statt, die zu einem Magneten für Unternehmen und Volkswirtschaften weltweit avanciert ist, während der Lockdown den Westen noch nachhaltig plagen wird. Wenn man allein schon den Erfolg von Chinas „Modell“ bei der Bekämpfung der Pandemie zum Maßstab nimmt, dann hat die Führung im Westen kläglich versagt.

Die Entscheidung über den einseitig vom Westen ausgerufenen „Systemwettbewerb“ mit China ist bereits gefallen. Das „Positionspapier“ der EVP-Fraktion wird daran auch nichts ändern. Es provoziert nur einen unnötigen Konflikt mit seinem wichtigsten wirtschaftlichen Partner.


[1] EPP Position Paper: EU-China Relations in a COVID-19 World and Beyond. https://www.epp.eu/papers/epp-position-paper-eu-china-relations-in-a-covid-19-world-and-beyond/