Die Schaffung einer digitalen Währung soll vor allem das Ungleichgewicht zwischen den Staatsbanken und den Fintech-Konzernen im Land korrigieren. Das könnte zwar dazu führen, dass kleine Unternehmen künftig schneller an Bankkredite kommen. Die Daten und der dadurch entstehende Informationsvorsprung kommen aber nun bei der Zentralbank statt bei den Technologiefirmen wie Ant Group an.

Während viele Zentralbanken immer noch die Möglichkeit prüfen, eine digitale Währung herauszugeben, hat China bereits seit dem letzten Jahr mit einer Reihe von Pilotprojekten eine solche Währung eingeführt. Der eRMB (wie ich ihn anstatt dem sperrigeren offiziellen Begriff „DC/EP“ nennen möchte) wird für sich allein betrachtet nicht dazu beitragen, die globale Dominanz des US-Dollar herauszufordern. Seine wahre Bedeutung liegt vielmehr in seinem Potenzial, das Gleichgewicht zwischen Chinas Technologiegiganten und den traditionell mehrheitlich staatseigenen Banken zu verändern – und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Banken indirekt zu verbessern.

Zahlung mit Handy

Die Pilotprojekte sind durch eine zweischichtige Struktur mit „kontrollierter Anonymität“ gekennzeichnet. Dabei gibt die People’s Bank of China (PBoC), also die Zentralbank, ihre eRMB an eine genehmigte Gruppe großer staatseigener Banken und anderer ausgewählter Finanzinstitute heraus, die das Geld dann den Haushalten und Unternehmen zur Verfügung stellen – also letztlich den Zielgruppen dieser Digitalwährung. In Gegensatz zu anderen bei den Zentralbanken diskutierten Digitalwährungen führen die chinesischen Firmen und Haushalte kein eRMB-Konto direkt bei der Zentralbank, was diese vor möglichen Störungen schützt.

Die ausgewählten Finanzinstitute sehen nur einen Teil des digitalen Fußabdrucks der Personen oder Unternehmen – wenn sie beispielsweise Mittel mithilfe von eRMB einzahlen oder abheben – und sollen die Informationen nicht länger als benötigt aufbewahren. Dies ist der „anonyme“ Teil der „kontrollierten Anonymität“. Der „Kontrollteil“ hingegen besteht darin, dass die Volksbank die gesamte Historie der Bewegung einer bestimmten eRMB-Einheit sehen kann – und entscheiden kann, ob sie diese Informationen weitergibt oder nicht. Sowohl das Zwei-Schichten-System als auch die kontrollierte Anonymität werden wahrscheinlich auch zentrale Eigenschaften eines eventuellen nationalen Programms sein.

Digitale Währung als Geschenk

Während der Pilotprojekte wurden eRMB als digitale Geschenke an zufällig ausgewählte Personen verteilt. Bei einer flächendeckenden Verbreitung wird die Regierung mehrere Werkzeuge nutzen können, um die Zielgruppen zu einer stärkeren Verwendung der Währung zu ermutigen. Beispielsweise könnte sie die Gehälter der Angestellten der Regierung und der staatseigenen Konzerne – etwa 15 Prozent der gesamten Arbeitskräfte – sowie die öffentlichen Pensionen in eRMB auszahlen. Außerdem könnten auch öffentliche Beschaffungsprogramme, Transfers an geringverdienende Haushalte und Subventionen für Unternehmen in der neuen Währung stattfinden. Und die Regierung könnte ihre Bürger verpflichten, einen immer höheren Anteil ihrer Einkommensteuer und anderer öffentlicher Gebühren in eRMB zu zahlen.

Hongbao 红包 als Geschenk

Wie bedeutend wird der digitale Renminbi sein? Wenn er in China die physischen Banknoten und Münzen ersetzt, könnte er einen Teil des bestehenden Geldes ersetzen und der Volksbank teilweise die Druck- und Prägekosten neuen Geldes ersparen, von dem sie momentan jährlich mehrere Milliarden Renminbi in Umlauf bringt. Obwohl solche Einsparungen in sozialer Hinsicht hilfreich sind, werden sie verglichen mit dem chinesischen Staatshaushalt wohl nicht sehr groß sein.

Auch wird der eRMB illegale Transaktionen der chinesischen Untergrundwirtschaft nicht völlig beseitigen, da Kriminelle ihre Geschäfte dann zweifellos mit anderen Mitteln wie Dollar, Euro, Gold oder wertvollen Kunstwerken abwickeln. (Über die Hälfte aller physischen US-Dollarnoten, insbesondere jener über 100 Dollar, zirkulieren außerhalb der Vereinigten Staaten, und dies häufig in der Schattenwirtschaft anderer Länder.)

Ungleichgewicht von Banken und Techkonzernen beheben

Eine erheblich bedeutendere Folge des eRMB, die unter chinesischen Beamten aber nicht öffentlich diskutiert wurde, ist die Möglichkeit, das Machtgleichgewicht zwischen den Banken und Technologiekonzernen des Landes zu verändern.

Der Aufstieg digitaler Konglomerate wie Ant Group, JD.com oder Baidu hat für die chinesischen Haushalte und Unternehmen erhebliche Werte geschaffen. Die Haushalte können über digitale „Finanzsupermärkte“ auf eine Vielzahl von Investitionsprodukten zugreifen, und dies sogar noch bequemer als die Amerikaner. Und Millionen von Kleinunternehmern, die sonst keine Chance auf Bankkredite hätten, konnten so ihr Geschäft finanzieren, ohne Sicherheiten bereitstellen zu müssen.

Dass solche Kredite vergeben werden können, spiegelt die Möglichkeit der Digitalkonzerne wider, nicht nur das Umsatzwachstum der Online-Unternehmen zu berücksichtigen, sondern auch „weiche Informationen“ wie Kundenbewertungen der Produkte und Dienste einer Firma sowie Produktrückgabequoten in ihre Bewertung einzubeziehen. Solche Daten – die den Banken meist nicht zur Verfügung stehen – ermöglichen es den Technologiekonzernen, qualitativ hochwertige Einschätzungen der Kreditwürdigkeit zu bekommen. Durch ihre enormen Datenmengen können diese Konzerne auch viel günstiger und schneller als Banken Kreditanträge bearbeiten, Kredite verteilen und Rückzahlungen kassieren.

Staatsbanken begrüßen Regulierung

Regulierungsbehörden inner- und außerhalb Chinas fürchten aber zunehmend, die großen Konzerne könnten diese Vorteile missbrauchen. Traditionelle Banken, die sowohl beim Geldmanagement als auch bei der Kreditvergabe Marktanteile an die Technologiegiganten verloren haben, sind über die stärkere regulatorische Kontrolle wahrscheinlich sehr erfreut.

Kartenzahlung mit digitalen RMB ohne Internet

Über die kontrollierte Anonymität des eRMB würde die Zentralbank eine ähnliche Möglichkeit bekommen, das zu überwachen, was normalerweise für Banken unsichtbar ist. Obwohl die Zentralbank weiterhin auf die sonstigen Informationen wie Kundenbewertungen verzichten müsste, wären ihre Daten über Umsatz- und Kostensteigerungen in gewisser Hinsicht hochwertiger als diejenigen der Technologiekonzerne, da sie eine volkswirtschaftsübergreifende Transaktionshistorie umfassen. So könnte die Volksbank die Kreditwürdigkeit möglicher Schuldner einschätzen und diese Bewertungen preiswert oder gratis an die Geschäftsbanken weitergeben, die damit den Informationsvorsprung der Technologiekonzerne verringern oder gar beseitigen könnten.

Internationale Transaktionen in Renminbi stärken

Ob der eRMB international verwendet werden könnte, hängt von mehreren Faktoren ab: Im Zuge der wachsenden globalen Bedeutung Chinas im Handels- und Finanzbereich werden immer mehr Transaktionen in Renminbi verbucht. Staatseigene chinesische Firmen könnten darauf bestehen, einen Teil ihrer internationalen Transaktionen in Renminbi abzuwickeln, und die PBoC könnte mehr Swap-Vereinbarungen in dieser Währung abschließen. Aber der internationale Aufschwung der Währung wird durch die chinesischen Kapitalkontrollen eingeschränkt – ebenso wie durch den relativ geringen Umfang flüssiger, in Renminbi ausgewiesenen Anlagegüter. Andererseits könnten Reformen in diesen Bereichen die Verwendung der Währung fördern.

Auch die US-Politik wird eine Rolle spielen. Die Behörden dort könnten beispielsweise amerikanische Finanzinstitute davon abhalten, den Renminbi zu verwenden. Ironischerweise könnten aber die ständigen US-Finanzsanktionen, die die privilegierte Stellung des Dollar ausnutzen, die Einführung von Alternativen fördern – darunter auch die des Renminbi.

Der eRMB allein wird kaum zur Internationalisierung des Renminbi beitragen. Sein größter Effekt wird wohl ein neues Gleichgewicht der Macht zwischen den Banken und den großen Technologiekonzernen in China selbst sein.

Shang-Jin Wei, ehemaliger Chefökonom bei der Asiatischen Entwicklungsbank, ist Professor für Finanzwesen und Ökonomie an der Columbia Business School und der Schule für Internationale und Öffentliche Angelegenheiten an der Columbia University. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

(Quelle: www.project-syndicate.org, ChinaTable)